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HIV-Impfstoff: Umdenken gefragt?

Hände in blauen Handschuhen ziehen Impfstoff auf
Bild: Alernon77 / AdobeStock

1983 wurde das HI-Virus entdeckt. Seitdem sind weltweit circa 40 Millionen Menschen an Aids gestorben, der Immunerkrankung, die durch eine Infektion mit HIV ausgelöst wird.  

Tabletten, die die Krankheit eindämmen und auch das Ansteckungsrisiko minimieren, gibt es mittlerweile. Trotzdem infizieren sich jedes Jahr circa 1,5 Millionen Menschen auf der Welt und auch in Deutschland sind es laut RKI 1.800 Neuinfektionen pro Jahr. Ein Impfstoff wird gebraucht.

Gut zu wissen: Wie kann man einer HIV-Infektion vorbeugen?

Es gibt verschiedene Arten der Aids-Prophylaxe:

Mechanische Barrieren: Kondome, Latexhandschuhe

Präexpositionsprophylaxe (PrEP): vor Eingehen eines risikobehafteten Sexualkontaktes 
Tenofovir/Emtricitabin (Truvada®) seit 2016 dafür zugelassen

Postexpositionsprophylaxe (PEP): nach einer möglichen Infektion innerhalb von 24 Stunden nach Kontakt für 28 Tage behandeln
Tenofovir/Emtricitabin (Truvada®) + Raltegravir + Dolutegravir

Wer sich nicht sicher ist, ob er sich angesteckt hat, kann einen HIV-Selbsttest für eine erste Einschätzung durchführen. 

Warum gibt es bisher keine Impfung gegen HIV?

Das HI-Virus ist ein Meister der Verwandlung und der Tarnung. Zum einen mutiert es wahnsinnig schnell, eine infizierte Person kann mehrere Varianten in sich tragen, was eine Immunreaktion verkompliziert. 

Zum anderen versteckt sich das HI-Virus vor dem Immunsystem, indem es gezielt Immunzellen befällt, sich darin verkriecht und heimlich vermehrt. Auch die Oberflächeneiweiße der Viruspartikel sind sehr speziell und erschweren das Andocken von körpereigenen Antikörpern oder Impfstoffen.

Ziel eines potenziellen Impfstoffes ist es daher, das Virus für den Körper sichtbar zu machen und die Abwehrreaktion zu steigern.

Forscher finden Besonderheit beim HIV

Nicht nur die Oberfläche der HI-Viren ist besonders. Eine Gruppe von Forschern aus Österreich fand heraus, dass die HIV-Partikel in der Akutphase, also in den ersten Wochen nach einer Infektion, von einem Protein-Mantel umhüllt sind. 

Das Team unter Doris Wilflingseder, Professorin für Infektionsbiologie an der Medizinischen Universität Innsbruck, macht sich diese Eigenheit jetzt bei der Suche nach einem Impfstoff zunutze.

Kleiner Exkurs: Immunabwehr

Dringen Krankheitserreger in den Organismus ein, antwortet zunächst einmal die unspezifische Immunabwehr als erste Schutzbarriere. Diese hält den Infekt für die ersten 2 bis 3 Wochen (Akutphase) in Schach, bis die spezifische Immunabwehr – durch Antikörper und T-Zellen – einsetzt.

Ein Teil dieser ersten, unspezifischen Immunabwehr ist das Komplementsystem. Darunter versteht man eine Gruppe von löslichen Proteinen, die von Krankheitserregern aktiviert werden, sobald diese in den Körper gelangen. Sie umhüllen und markieren die Erreger und geben Immunzellen damit das Signal, dass die Eindringlinge eliminiert werden sollen.  

Diesen Mantel aus Komplement-Proteinen schauen sich die österreichischen Forscher genauer an.

Eine neue Strategie bei der Impfstoffsuche gegen HIV

Infiziert das HI-Virus einen Körper, sind es die dendritischen Zellen, die als erste Immunzellen auf den Partikel treffen. Sie gehören zur unspezifischen Immunabwehr. Die dendritischen Zellen reagieren als Wächter, schütten antivirale Stoffe (Interferone) aus und „fressen“ das Virusteilchen (Phagozytose). 

Nackte Viren werden so unterdrückt und lösen nur eine mäßige Immunantwort aus. „Wenn ein HIV-Partikel einen Komplement-Mantel trägt, dann wird es von den dendritischen Zellen vollkommen anders aufgenommen und prozessiert“, so Wilflingseder. Ein umhülltes HIV gelangt bis in den Zellkern und infiziert die dendritischen Zellen, anstatt gefressen zu werden. Das wiederum bewirkt eine starke Immunantwort, die die Viruslast senken kann.

Könnte man diese starke Immunreaktion mithilfe eines Impfstoffes nachstellen, würde dies dabei helfen, dass das Virus vom Körper auch in der Akutphase der Infektion besser wahrgenommen und somit bekämpft werden kann.  

Üblicherweise vermeidet man bei Impfungen, das Komplementsystem zu aktivieren, damit es zu keiner überschießenden Immunreaktion kommt. Die Expertin bekräftigt aber, dass man bei der HIV-Impfstoffentwicklung umdenken und neue Wege einschlagen müsse.

Ein HIV-Impfstoff in greifbarer Nähe?

Eine so neuartige Strategie muss natürlich genau untersucht werden. Eine tatsächliche Chance auf einen Impfstoff mit Komplementaktivierung bietet sich nur, wenn die in der Zellkultur beobachteten positiven Effekte auch im menschlichen Körper auftreten, überschießende Immunauswirkungen aber vermieden werden können. 

„Insofern ist es schwierig, hier eine zeitliche Prognose abzugeben“, so die Expertin. Und doch zeigen die Ergebnisse, dass es noch viele unkonventionelle Möglichkeiten auf der Suche nach einem HIV-Impfstoff gibt. 

HIV-Impfung auf mRNA-Basis?

Eine weitere große Gelegenheit biete die mRNA-Technologie, die vor allem durch die SARS-CoV-2-Impfstoffe bekannt wurde. mRNA-Impfstoffe sind nicht von aufwendigen Zellkulturen abhängig, sondern werden zellfrei hergestellt. Die Produktion ist deshalb schnell, flexibel und kostengünstig. 

Bei einem so rasch mutierenden Virus, wie dem HIV, könnte das einen entscheidenden Vorteil bei der Impfstoffsuche bringen. Man versucht damit spezielle Antikörper vom Organismus herstellen zu lassen, die sogenannten breit neutralisierenden Antikörper. Diese wurden bei langjährig infizierten Patienten gefunden und sind in der Lage, trotz Mutationen fest am Virus anzudocken und es so für den Körper sichtbar zu machen.

In den letzten Jahren gab es einige vielversprechende mRNA-Impfstoffkandidaten. Bisher konnte aber noch keiner in der klinischen Wirksamkeit überzeugen. Einige Studien laufen noch. mRNA-Impfungen sind folglich keine Wunderwaffe, aber eine gute Chance. Quellen:

https://scilog.fwf.ac.at/magazin/hiv-impfung-zeit-fuer-eine-neue-taktik

https://www.who.int/data/gho/data/indicators/indicator-details/GHO/new-hiv-infections-(per-1000-uninfected-population)

https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/H/HIVAIDS/Eckdaten/EckdatenDeutschland.pdf?__blob=publicationFile

https://flexikon.doccheck.com/de/Antiretrovirale_Therapie

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC9215146/
 

Gut zu wissen: aktuelle Therapiemöglichkeit bei Aids

ART: Antiretrovirale Therapie

  • Behandlungskonzept einer bestehenden HIV-Infektion
  • ab Diagnosestellung lebenslang
  • Kombinationstherapie:
    • klassisch: zwei Nukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI) plus Integrase-Hemmer oder Nicht-nukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NNRTI) oder Proteaseinhibitor (PI)
    • neu: NRTI plus Integrase-Hemmer oder NNRTI plus Integrase-Hemmer
  • Wirkstoffkombinationen in einer Tablette möglich (Single-Tablet-Regime)
  • Ziel: Viruslast unterhalb der Nachweisgrenze, annähernd normale Lebenserwartung bei guter Lebensqualität
  • Elternschaft und ungeschützter GV bei erfolgreicher Therapie möglich
  • Unerwünschte Arzneimittelwirkungen und Resistenzen können auftreten

Stammzelltransplantation: einzelne erfolgreiche Heilungen