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Schützt ein antivirales Kaugummi vor Influenza & Co.?

Lehrer hassen es und Zahnärzte empfehlen regelmäßig die zuckerfreie Variante – Kaugummikauen spaltet mitunter die Gemüter. Forschende unter anderem der Universität Philadelphia in den USA und der Universität Helsinki in Finnlands Hauptstadt haben jetzt ein ganz neues Argument pro Kaugummikauen parat: Mit speziellen Kaugummis wollen sie wirksam die orale Übertragung verschiedener Viren hemmen.
Um das Drei- bis Fünffache, schreiben die Forschenden, liege die orale Übertragung verschiedener Viren höher als die nasale. Per Tröpfcheninfektion beim Sprechen, Atmen, Husten oder Küssen sowie, laut den Forschenden, durch die steigende Prävalenz oraler Sexualpraktiken übertragen sich Viren wie die Influenzaerreger, der COVID-19-Erreger SARS-CoV-2, aber auch etwa Herpes-simplex-Viren (HSV) der Typen 1 und 2 – wobei HSV-2 eigentlich eher mit genitalen Herpes-Infektionen in Zusammenhang gebracht wird.
Positive Eigenschaften des Kaugummikauens
Kaugummikauen gilt als jahrtausendealte Tradition. Die Anregung des Speichelflusses hat zumindest bei zuckerfreien Varianten durchaus einen positiven Einfluss auf die Mundflora und kann Karies sowie Parodontose vorbeugen.
Auch kann Kaugummikauen etwa bei Patienten in Strahlentherapie oder älteren Menschen gegen Mundtrockenheit helfen.
Einige Anwendungen mit Wirkstoffen sind ebenfalls bekannt wie etwa Nikotinkaugummis zur Rauchentwöhnung oder solche gegen Reisekrankheit und Brechreiz etwa mit dem Wirkstoff Dimenhydrinat.
Inhaltsstoff antiviraler Kaugummis aus der Lablab-Bohne
Auch die Wissenschaftler nutzten für ihre Forschung kein gewöhnliches Kaugummi. Sie setzten dabei auf einen Inhaltsstoff der Lablab-Bohne (Lablab purpureus), die bereits seit dem Jahr 1500 vor Christus in Indien zum Verzehr kultiviert wird. Bekannt ist sie auch unter den Namen Helmbohne, Indische Bohne oder Ägyptische Bohne.
Die tropische Bohnenart aus der Familie der Hülsenfrüchte wird heute in verschiedenen tropischen und subtropischen Regionen weltweit angebaut. Sie ist vielseitig verwendbar und essbar für Menschen und Vieh.
In Afrika, Indien und Südostasien hat die Lablab-Bohne eine breite Anwendung zum medizinischen Nutzen von Kopfschmerz über die Behandlung von Schlangenbissen, Geburtsbeschleunigung bis hin zur phytopharmakologischen Tumorbehandlung, wohingegen sie in Europa meist als Zierpflanze angebaut wird.
Pflanzen-Lektine als Virenfänger
Die amerikanischen und finnischen Mediziner nutzten für ihren Ansatz insbesondere das natürlich enthaltene Lektin Flt3 Receptor Interacting Lectin (FRIL). Lektine sind vor allem in Hülsenfrüchten, aber auch in vielen anderen Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen vorkommende komplexe Proteine, die spezifisch an Kohlenhydrate binden können. Lektine spielen natürlicherweise unter anderem eine Rolle bei der Abwehr von Fressfeinden.
FRIL zeichne sich im Vergleich mit anderen Wirkstoffen „durch seine antiviralen Eigenschaften gegen eine Vielzahl von Krankheitserregern aus“, schreiben die Autoren der Studie, deren Ergebnisse die Forschenden im Fachmagazin „Molecular Therapy“ veröffentlichten.
In ihren Versuchen nutzten sie mit Bohnenmehl versetztes Kaugummi, das sie in einem Kauautomaten im Labor hinsichtlich der Freigabe des Wirkstoffs untersuchten. Um den Ansprüchen an ein Arzneimittel zu genügen, stellten die Forschenden den Wirkstoff in Form des Bohnenmehls dar.
FRIL sei im gemahlenen Bohnenpulver stabil, wenn es bei –20 °C bis zu 683 Tage gelagert wird. Im Kaugummi ist das Lektin laut der Wissenschaftler bei Raumtemperatur und ohne weitere Hilfsmittel sogar bis zu 790 Tage haltbar und wirksam.
Antivirales Kaugummi soll bereits nach fünf Minuten wirken
Mechanistisch führe FRIL zu einer Aggregation der untersuchten pathogenen Viren, was deren Eindringen in die Wirtszellen verhindere. Unter anderem mit einem Plaquetest mit dem „Maschinenspeichel“ konnten die Forschenden die antivirale Wirkung zeigen.
„Während die Wirksamkeit von Bohnengummi je nach Virusvariante variieren kann und der Virustiter in der Mundhöhle des Patienten von Person zu Person unterschiedlich ist, gehen wir davon aus, dass innerhalb von fünf Minuten nach dem Kauen eine signifikante Neutralisierung erreicht werden kann“, schreiben die Autoren.
Das heißt, fünf Minuten nach dem Kauen des Kaugummis soll in der Mundhöhle keine nennenswerte Viruslast mehr vorhanden sein. Dabei untersuchten sie ganz konkret Influenza-Viren vom Typ H1N1 sowie H3N2, außerdem HSV-1- und HSV-2-Viren.
Kaugummi gegen SARS-CoV-2 in Phase-I/II -Studie
Die Mediziner griffen bei ihrer Arbeit auf Erfahrungen mit einem antiviralen Kaugummi zurück, das die Viruslast mit SARS-CoV-2-Viren verringern soll. Diese Variante mit dem Wirkstoff CTB-ACE2 hat von der US-Zulassungsbehörde FDA mittlerweile eine Zulassung für eine Phase-I/II -Studie erhalten.
In dem Fall sorgt das hybride Protein CTB-ACE2, das das Angiotensin Converting Enzyme 2 enthält (den Rezeptor auf den Zellen, über den SARS-CoV-2 in die Zellen eindringt), für eine Aggregation der Erreger im Speichel.
Bislang sind die Kaugummis noch nicht an realen Patienten erprobt. Grundsätzlich gelten sie als sicher und die Inhaltsstoffe als wirksam gegen die entsprechenden Viren. Für die Lektin-Kaugummis muss man wohl einschränken, dass insbesondere Lektine aus Hülsenfrüchten auch für Verdauungsbeschwerden beim Menschen sorgen können, da sie mitunter an die Darmwand binden.
Weitere Forschung für antivirale Kaugummis notwendig
Ob die Kaugummis tatsächlich die Übertragung von Mensch zu Mensch über den oralen Weg verhindern können, ist ebenfalls noch nicht erforscht. Auch wie eine Anwendung in der Praxis aussehen könnte, um die orale Übertragung von Viren zu verhindern, ist noch unklar. Ebenso muss noch erforscht werden, wie lang die Viruslast in der Mundhöhle dann unter einem infektiösen Level bleibt.
Letztlich bleibt noch einiges an Forschung und Entwicklung auf dem Weg zum antiviralen Kaugummi zu erledigen. Quellen:
- Daniell, Henry et al.; Debulking influenza and herpes simplex virus strains by a wide-spectrum anti-viral protein formulated in clinical grade chewing gum; Molecular Therapy, Volume 33, Issue 1, 184 – 200; DOI: 10.1016/j.ymthe.2024.12.008; https://www.cell.com/molecular-therapy-family/molecular-therapy/fulltext/S1525-0016(24)00808-6
- https://web.archive.org/web/20160110055827/http://www.prota4u.info/protav8.asp?h=M4&t=lablab,purpureus&p=Lablab+purpureus#Synonyms