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Alzheimer-Therapie: Könnte Melatonin helfen?

Zwischen 25 Prozent und einem Drittel der Erwachsenen in Deutschland gibt an, an Ein- oder Durchschlafstörungen zu leiden. Guter Schlaf wird in der modernen Gesellschaft mit ihren zahlreichen „Schlaf-Störfaktoren“ wie Verkehrslärm, Fernreisen mit Jetlag, Schichtarbeit oder Blaulicht emittierenden Laptops und Smartphones regelrecht zum Luxus.
Melatonin gilt dabei vielen als regelrechtes Wundermittel, um Schlaf zu finden. Als Nahrungsergänzungsmittel findet es hohen Absatz, obwohl die Evidenz für seine Wirkung als Ein- oder Durchschlafhilfe in der Breite gering ist. Weltweit wird damit gerechnet, dass das Marktvolumen mit melatoninhaltigen Produkten bis zum Jahr 2034 auf rund 704,35 Milliarden US-Dollar anwachsen wird.
Als Arzneimittel mit definierter Dosis ist es zugelassen und indiziert bei Personen ab 55 Jahren sowie bei Kindern und Jugendlichen im Alter von zwei bis 18 Jahren mit bestimmten neurologischen Krankheitsbildern.
Hohe Melatonin-Dosen rufen unerwünschte Wirkungen hervor
Unter anderem warnt das Bundesinstitut für RisikobewertungBfR: "Melatoninhaltige Nahrungsergänzungsmittel: BfR weist
auf mögliche Gesundheitsrisiken hin", Stellungnahme vom 17.09.2024 dagegen vor einer unkontrollierten Einnahme des „Schlafhormons“ etwa aus Nahrungsergänzungsmitteln, in denen in manchen Fällen die Dosis stark differiert oder sogar die Dosis der zugelassenen Arzneimittel übersteigt.
Zu viel Melatonin kann demnach zu unerwünschten Wirkungen führen wie anhaltende Müdigkeit auch am Tag sowie „Kopfschmerzen, verringerte Aufmerksamkeit, verlängerte Reaktionszeit, Blutdruckabfall, Reduktion der Körpertemperatur, Albträume, Kraftlosigkeit, morgendliche Benommenheit und Gangunsicherheit“.
Die physiologische Wirkung im Körper, seine lichtabhängige Produktion im zirkadianen Rhythmus und seine Steuerung des Schlaf-wach-Rhythmus gelten zwar als belegt, auch dass jüngere Menschen mehr Melatonin produzieren als Ältere, ist bekannt. Welche Mengen allerdings „die richtigen“ sind, scheint individuell sehr verschieden zu sein.
Melatonin und Alzheimer: Hinweise auf Zusammenhang
Unterdessen mehren sich allerdings die Hinweise darauf, dass die Melatonin-Menge im Blut durchaus in einem Zusammenhang stehen könnte mit dem Vorliegen einer Alzheimer-Erkrankung. Ebenso, dass eine Substitution mit dem Hormon einen therapeutischen Effekt gegen die neurodegenerative Erkrankung haben könnte.
Als belegt gilt, dass bei Alzheimer-Patienten kaum noch Melatonin nachweisbar ist. Die in der Regel deutlich gestörte zirkadiane Rhythmik der Betroffenen mit Unruhe in der Nacht, Müdigkeit und Gereiztheit am Tag wird damit in einen Zusammenhang gebracht.
Forschende um Zefan Zhang von der Zhejiang University School of Medicine im chinesischen Hangzhou und Christian Benedict von der Uppsala University in Schweden haben in einem ReviewMolecular Psychiatry: "Melatonin: A potential nighttime guardian against Alzheimer’s", 08/2024 verschiedene Studien ausgewertet, die die Auswirkung einer Melatonin-Substitution auf Alzheimer-Betroffene, Demenz-Erkrankte und gesunde Senioren untersuchten.
Unter Melatonin: Weniger depressive Stimmungen und kognitive Beeinträchtigungen
Im Ergebnis verbesserten sich dabei etwa die kognitiven Fähigkeiten von Alzheimer-Betroffenen deutlich. In Fragebögen, wie dem Mini-Mental-Status-Test oder dem California Verbal Learning Test, zeigten sich positive Effekte oder der Grad an Agitation bei alzheimerkranken Heimbewohnern ging tagsüber zurück.
Auch ein Zusammenhang zwischen höherem Melatonin-Spiegel und geringerer Prävalenz von depressiver Stimmung und kognitiven Beeinträchtigungen in einer Gruppe konnte demnach gezeigt werden.
Die Forschenden wiesen auch auf entsprechende Alzheimer-Maus-Modelle hin, in denen positive Effekte einer Melatonin-Substitution auf das räumliche Gedächtnis und die Lernfähigkeit gezeigt werden konnten.
Wirkungen von Melatonin bei Alzheimer
Die Forschenden um Zhang und Benedict verwiesen zur Erklärung auf verschiedene beobachtete oder vermutete Effekte des Melatonins hin, das neben seiner Hormonwirkung auch als Antioxidans unter anderem in den Mitochondrien wirkt.
Als (mögliche) Effekte führten sie unter anderem auf:
- Eine modulierende Wirkung auf die Bildung des bei Alzheimer aggregierenden Beta-Amyloid-Proteins.
- Einen neuroprotektiven Mechanismus gegen die Toxizität der Beta-Amyloid-Plaques.
- Einen schwächenden Effekt auf die Bildung von Fibrillen des Microtubuli-assoziierten Proteins Tau.
- Einen aktivierenden Einfluss auf die „Müllabfuhr“ des Gehirns, das glymphatische System.
Allerdings, so schreiben die Autoren, bedürfe es noch vieler weiterer Studien, um Melatonin als mögliches Therapeutikum bei Alzheimer zu etablieren. „Positiv zu vermerken ist, dass Melatonin aufgrund seiner Zugänglichkeit, seiner Erschwinglichkeit und seines potenziellen Nutzens eine vielversprechende Intervention darstellt, die weiter getestet werden muss“, schreiben sie weiter.
Weitere Hinweise auf eine positive Wirkung von Melatonin bei Alzheimer
Auch die chinesischen Autoren eines weiteren ReviewsCurrent Medicinal Chemistry: "The Therapeutic Potential of Melatonin in Alzheimer's Disease: A Comprehensive Review", Stand: 03/2024 von der Xi’an Jiaotong University fassten die Ergebnisse mehrerer Studien zusammen, die insgesamt „die neuroprotektive Wirksamkeit von Melatonin gegen die Alzheimer-Pathologie“ zeigen konnten. Sie fassten auch klinische Studien zusammen, die „die Auswirkungen von Melatonin auf das Fortschreiten und die Symptome von Alzheimer untersuchen“.
Iranische Forschende um Rasoul Ebrahimi von der Shahid Beheshti University of Medical Sciences in Teheran und Khadijeh Esmaeilpour von der Kerman University of Medical Sciences bringen in einem ReviewMolecular Neurobiology: "Melatonin Supplementation in Alzheimer’s disease: The Potential Role in Neurogenesis", Stand: 05/2025 im Fachmagazin Molecular Neurobiology indes eine Wirkung von Melatonin auf die Neurogenese, also die Bildung neuer Neuronen, im Zusammenhang mit Alzheimer ins Spiel.
Chinesische Forschende wiederum untersuchten in einem Daten-Mining-Ansatz Informationen über Gene, die im Zusammenhang mit Alzheimer und Melatonin identifiziert und untersucht wurden. Aus einem Satz von „3.397 Genen, die mit der Alzheimer-Pathologie in Verbindung stehen, und 329 Genen, die als Ziele von Melatonin vorhergesagt wurden“, fanden die Forschenden 223 Gene, die sich in beiden Gengruppen überschneiden. Bei der weiteren Clusteranalyse stießen sie auf zwei Schlüsselcluster, die sich auf die Gene MMP2 und NR3C1 konzentrieren. „Beide haben eine entscheidende Rolle bei der Steroidhormonsignalisierung, Apoptose und Monoamin-Neurotransmission“, so die Forschenden.
Sie schließen daraus, dass diese Gen-Cluster wichtige Ziele für die weitere Forschung zur Therapie von Alzheimer mit Melatonin sein könnten. Ihre ErgebnisseInternational Journal of Molecular Sciences: "Data Mining Approach to Melatonin Treatment in Alzheimer’s Disease: New Gene Targets MMP2 and NR3C1", Stand: 01/2025 veröffentlichten die Forschenden um Jingyi Zhang und Lee Wei Lim von der Xi’an Jiaotong-Liverpool University im chinesischen Suzhou im Fachmagazin International Journal of Molecular Sciences.
Melatonin-Substitution bei Alzheimer: Weitere Forschung nötig
Insgesamt gibt es zahlreiche Hinweise darauf, dass eine Melatonin-Substitution ein möglicher Therapieansatz bei Alzheimer sein könnte. Es fehlt allerdings noch an Studien, die die Evidenz untermauern, und an Forschung zu genauen Wirkmechanismen. Quellen:
- FBI Fundamentalbusinessinsights; Marktgröße und -anteil von Melatoninpräparaten nach Form, Vertriebskanal, Anwendung – Wachstumstrends, regionale Einblicke (USA, Japan, Südkorea, Großbritannien, Deutschland), Wettbewerbspositionierung, globaler Prognosebericht 2025–2034Report; FBI 20831; Juni 2025 https://www.fundamentalbusinessinsights.com/de/industry-report/melatonin-supplements-market-20831
- BfR; Melatoninhaltige Nahrungsergänzungsmittel: BfR weist auf mögliche Gesundheitsrisiken hin; 17. September 2024; https://www.bfr.bund.de/cm/343/melatoninhaltige-nahrungsergaenzungsmittel-bfr-weist-auf-moegliche-gesundheitsrisiken-hin.pdf
- Arendt, J. et al.; Melatonin as a chronobiotic; Sleep Medicine Reviews; Volume 9, Issue 1, 2005; Pages 25-39; https://doi.org/10.1016/j.smrv.2004.05.002 ; https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1087079204000474
- Ohashi Y, Okamoto N, Uchida K, Iyo M, Mori N, Morita Y. Daily rhythm of serum melatonin levels and effect of light exposure in patients with dementia of the Alzheimer’s type. Biol Psychiatry. 1999;45:1646–52. https://doi.org/10.1016%2FS0006-3223%2898%2900255-8
- Zhang, Z., Xue, P., Bendlin, B.B. et al. Melatonin: A potential nighttime guardian against Alzheimer’s. Mol Psychiatry 30, 237–250 (2025). https://doi.org/10.1038/s41380-024-02691-6
- Jialang Zhang, Mingzhe Feng, Lingbo Kong, The Therapeutic Potential of Melatonin in Alzheimer's Disease: A Comprehensive Review, Current Medicinal Chemistry; Volume 32, Issue 25, Year 2025, e280324228440. DOI: 10.2174/0109298673286807240326085736 https://www.ingentaconnect.com/content/ben/cmc/pre-prints/content-bms-cmc-2023-708#Refs
- Ebrahimi, R., Faramarzi, A., Salarvandian, S. et al. Melatonin Supplementation in Alzheimer’s disease: The Potential Role in Neurogenesis. Mol Neurobiol (2025). https://doi.org/10.1007/s12035-025-05095-x ; https://link.springer.com/article/10.1007/s12035-025-05095-x
- Zhang J, Tsui KC, Lee HY, Aquili L, Wong KH, Kocabicak E, Temel Y, Lu Z, Fung M-L, Kalueff A, et al. Data Mining Approach to Melatonin Treatment in Alzheimer’s Disease: New Gene Targets MMP2 and NR3C1. International Journal of Molecular Sciences. 2025; 26(1):338. https://doi.org/10.3390/ijms26010338 https://www.mdpi.com/1422-0067/26/1/338