COVID-19-Therapieoptionen
Corona-Pandemie
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Neues COVID-19-Arzneimittel in der EU: Wie hilft Tocilizumab bei COVID-19?

Spritze mit Etikett für Tocilizumab
Für wen ist der Antikörper geeignet? | Bild: Tobias Arhelger / AdobeStock

Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) empfiehlt ein neues Arzneimittel zur Behandlung von COVID-19. Zugegeben – ganz „neu“ ist der Wirkstoff nicht: Tocilizumab (RoActemra®) wird seit Jahren zur Behandlung von „Entzündungskrankheiten“ wie der Rheumatoiden Arthritis, der juvenilen idiopathischen Arthritis sowie beim lebensbedrohlichen Zytokinsturm unter CAR-T-Zell-Therapie angewendet. 

Nun sieht die EMA auch einen Nutzen bei COVID-19. Die Europäische Kommission folgte dieser Einschätzung und hat Tocilizumab zur Behandlung von COVID-19 am 7. Dezember zugelassen – allerdings nur für bestimmte Patienten und nicht als Monotherapie. 

Wer bekommt Tocilizumab?

Nach wissenschaftlicher Einschätzung des Humanarzneimittelausschusses (CHMP) der EMA sollen nur erwachsene COVID-19-Patienten Tocilizumab erhalten, wenn diese zusätzlichen Sauerstoff benötigen oder bereits mechanisch beatmet werden – und wichtig: Tocilizumab gibt es nur in Kombination mit Corticosteroiden, also Cortison. 

Erhöhte Sterblichkeit ohne Kombination mit Cortison

Die EMA stützt ihre Empfehlung auf eine Studie an 4.116 im Krankenhaus behandelten Patienten mit schwerem COVID-19. Diese waren auf zusätzlichen Sauerstoff angewiesen oder wurden mechanisch beatmet. Außerdem fand man hohe Entzündungswerte (gemessen am C-reaktiven Protein) in ihrem Blut. 

Erhielten die Erkrankten zusätzlich zur Standardbehandlung, einschließlich Corticosteroiden, eine Infusion mit Tocilizumab, verringerte sich ihr Sterberisiko und ihr Krankenhausaufenthalt verkürzte sich: In der Tocilizumabgruppe starben 31 Prozent der Patienten (621 von 2.022) innerhalb von 28 Tagen. Ohne Tocilizumab (Standardbehandlung) waren es 35 Prozent (729 von 2.094). Auch verließen 57 Prozent der Tocilizumabpatienten (1.150 von 2.022) das Krankenhaus innerhalb von 28 Tagen, in der Standardbehandlungsgruppe waren es weniger (50 Prozent, 1.044 von 2.094).

Allerdings profitierten die COVID-19-Patienten nur dann von Tocilizumab, wenn sie zusätzlich Cortison erhielten. Anderenfalls – ohne Kombination mit Corticosteroiden – könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Sterblichkeit sogar erhöht sei, erklärt die EMA.

Wirkt ein Entzündungshemmer gegen COVID-19?

Tocilizumab ist kein Virostatikum. Ebensowenig richtet sich der Antikörper gegen Strukturen von SARS-CoV-2 oder versucht, das Virus zu blockieren. Tocilizumab adressiert als Antikörper einen Botenstoff des Immunsystems – Interleukin-6 (IL-6) beziehungsweise dessen Rezeptor –, der Entzündungsreaktionen reguliert. 

Bei schwer an COVID-19 erkrankten Patienten steht ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr die ursächliche Infektion mit SARS-CoV-2 im Vordergrund und zeichnet für die schlechte Lage der Patienten verantwortlich. Vielmehr reagiert das Immunsystem über: Es kommt zu einem sogenannten Zytokinsturm mit hohen Konzentrationen an IL-6 und IL-8 sowie anderen Chemokinen.

Gut zu wissen: Zytokinsturm bei COVID-19

Normalerweise werden im Rahmen einer Immunreaktion, zum Beispiel auf eine Virusinfektion, Zytokine (Proteine, die das Wachstum und die Entwicklung von Zellen regulieren) gebildet. Diese aktivieren Immunzellen, die an den Ort der Entzündung wandern und dort weitere Zytokine freisetzen – was die Immunreaktion (erwünscht) verstärkt, schließlich soll der Eindringling effektiv bekämpft werden. 

Allerdings sollte diese Immunreaktion auch wieder abklingen, und zwar in der Regel dann, wenn das Antigen (zum Beispiel das Virus SARS-CoV-2) nicht mehr vorhanden ist.

Bei einem Zytokinsturm funktioniert dieses Abschalten der Immunreaktion jedoch nicht mehr automatisch, da die Immunzellen zu stark aktiviert wurden. Die Folge: Es kommt zu Fieber, Schwellungen, Übelkeit, zur Aktivierung von Gerinnungsfaktoren, Gewebeschäden, Organversagen und lebensbedrohlichen Zuständen. 

Zytokinstürme bei Virusinfektionen sind nicht auf SARS-CoV-2 beschränkt: Auch bei anderen Viruserkrankungen, wie Ebola, Vogelgrippe (H5N1), Influenza und den anderen Coronaviruserkrankungen MERS und SARS, wurde das Phänomen bereits beobachtet.

Tocilizumab schaltet die Immunreaktion ab

Tocilizumab bremst einen wichtigen Botenstoff dieses Zytokinsturms (IL-6) aus, indem es an den IL-6-Rezeptor bindet. Dadurch wird die überschießende Immunreaktion abgefedert – ein Vorgang, den der Körper eigentlich automatisch machen sollte.

WHO rät zur Behandlung mit Tocilizumab

Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) rät zum Einsatz von Tocilizumab. In der auf der Seite des Fachjournals „The British Medical Journal“ veröffentlichten dynamischen Leitlinie zu COVID-19 der WHO empfiehlt die dortige Expertengruppe „stark“ den Einsatz von Interleukin-6-Hemmern bei schwerem und kritischem COVID-19. 

Schweres COVID-19 nach Definition der WHO liegt dann vor, wenn die Sauerstoffsättigung der Patienten an Raumluft unter 90 Prozent ist und sie Anzeichen einer Lungenentzündung und Atembeschwerden haben. 

Bei kritischem COVID-19 sind die Patienten auf lebenserhaltende Maßnahmen angewiesen, sie haben akute Atembeschwerden, eine Sepsis oder einen septischen Schock.

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