Aktuelles
5 min merken gemerkt Artikel drucken

Gestresste Eltern: Der Druck nimmt zu

Kinder hüpfen auf Sofa, erschöpfte Eltern sitzen davor
Immer mehr Eltern fühlen sich gestresst. | Bild: New Africa / AdobeStock

Der ständige Kampf mit den Kindern, Druck im Job und dazu noch „das bisschen Haushalt“, wie es im 70er-Jahre-Schlager heißt: Mütter und Väter fühlen sich laut einer Untersuchung einer Krankenkasse immer mehr unter Druck gesetzt. 

Stressfaktoren sind nicht jedoch nur die Erziehung und Betreuung, auch die politischen Konflikte und Sorgen um die Finanzen können belasten, wie aus der repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) hervorgeht. 

Darin geben 62 Prozent der Eltern mit minderjährigen Kindern häufig oder sogar sehr häufig an, gestresst zu sein. Genau zwei Drittel sagen darüber hinaus, der Stress habe in den vergangenen ein bis zwei Jahren zugenommen. 

Dauerhafter Stress schlägt auf die Gesundheit

Fast 70 Prozent fühlen sich demnach infolge hoher Belastungen mitunter erschöpft oder ausgebrannt, etwa 40 Prozent waren in stressigen Situationen schon einmal niedergedrückt oder depressiv. 2019 lagen die Anteile mit 55 beziehungsweise 22 Prozent noch deutlich darunter, wie es weiter hieß.

„Der große Anstieg ist ein Warnsignal. Wir müssen diese Entwicklung sehr ernst nehmen“, sagt Aileen Könitz, KKH-Expertin für psychiatrische Fragen, in einer Mitteilung. Dauerstress könne zu chronischer Erschöpfung, Depressionen und Angststörungen führen. Viele leiden unter Nervosität, Gereiztheit, Schlafstörungen sowie Kopf-, Rücken- und Magenschmerzen.

Gesellschaftliche Krisen stressen Eltern

Gesellschaftliche Themen wie die politische Lage, Klimawandel und Teuerung wurden als Stressfaktoren angegeben. Dies empfindet die Hälfte der Eltern als besonders gravierend.

Weitere Punkte sind die Erziehung und Betreuung der Kinder (48 Prozent), die Arbeitsbelastung im Haushalt (46 Prozent) und die Angst um die Zukunft des Nachwuchses (44 Prozent). 

Mit etwas Abstand folgen die eigene Ausbildung oder der Beruf (37 Prozent) sowie Konflikte in der Familie (36 Prozent). Gut ein Viertel der Eltern belasten finanzielle Sorgen (29 Prozent). Die Digitalisierung inklusive technischer Neuerungen und ständiger Erreichbarkeit (17 Prozent) fällt nur wenig ins Gewicht.

Häufige Stressursache: Arbeitsbelastung im Haushalt

Insbesondere die Arbeitsbelastung im Haushalt ist demnach häufiger Ursache für Stress als noch vor fünf Jahren. Mittlerweile fühlen sich knapp zwei Drittel der Mütter dadurch unter Druck gesetzt. 2019 waren es noch rund 40 Prozent. 

Bei den Vätern liegt die Quote noch deutlich niedriger, ist aber gestiegen – um fast das Doppelte von 16 auf 30 Prozent. Ferner fühlen sich mehr Väter durch Erziehung der Kinder, Konflikte in der Familie und finanzielle Sorgen belastet als noch vor fünf Jahren.

Alleinerziehende häufiger gestresst

Alleinerziehende sind besonders gefordert, in neun von zehn Fällen leben die Kinder bei der Mutter. „Frauen leiden häufiger als Männer an stressbedingten psychischen Krankheitsbildern wie Anpassungsstörungen und in der Folge auch an Depressionen“, führt Könitz an. Das liege aber nicht daran, dass sie seelisch instabiler sind. Sie seien oftmals stärker belastet.

Die Zahl der Krankschreibungen aufgrund psychischer Leiden ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. In jungen Familien arbeiten zunehmend beide Partner annähernd Vollzeit – bei Alleinerziehenden würde das Gehalt einer Teilzeitstelle meist gar nicht reichen. Sie fühlen sich noch häufiger gestresst als Eltern, die mit ihrem Partner zusammenleben.

Nachfrage für Kuren steigt

Laut Müttergenesungswerk kommen immer mehr Eltern in Beratungsstellen, um sich über Kuren zu informieren. Arbeitgeber sind dazu verpflichtet, gestresste Mütter und Väter für eine vom Arzt verordnete Kur freizustellen. 

„Der Druck ist sehr hoch, die Taktung anders als früher“, sagt Antje Krause, Leiterin einer Klinik in Bad Harzburg, die Mutter- und Mutter-Kind-Kuren anbietet. Eltern strebten danach, ihre Familien zu optimieren und ihren Kindern die besten Startchancen zu geben. 

Im Gespräch mit Freundinnen werde zwar auf die Partner geschimpft oder über die Kinder gestöhnt, wenige Frauen redeten aber über ihre totale Erschöpfung. In der Kur gehe es dann darum, sich auszutauschen und innezuhalten. „Eine Frau erzählte mir am Ende, das Schönste sei gewesen, ihrem Kind in Ruhe beim Spielen zuschauen zu können.“

Kindererziehung wird zur Nebensache

Silvia Selinger-Hugen, Leiterin von zwei Kliniken auf der Nordsee-Insel Norderney, beobachtet, dass die Erziehungsarbeit nebenher erledigt werden muss, weil oft beide Eltern nahezu Vollzeit arbeiten. 

„Es muss Zeit für Beziehungen und Zeit für Kommunikation in der Familie bleiben“, mahnt sie. Wenn es ein Wertegerüst und gute Beziehungen innerhalb einer Familie gebe, seien die Mitglieder auch stressresistenter.

Frauen häufiger von Folgen von Stress betroffen

Die Doppelbelastung von Familie und Beruf sei ein Faktor für erhöhtes Auftreten von Depressionen bei Frauen im Vergleich zu Männern, sagt Anette Kersting, Professorin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Leipzig. Dies sei durch Studien gut belegt. Die Haus- und Erziehungsarbeit bleibe meist Frauensache. 

Gleichzeitig gibt es Untersuchungen, die darauf hinweisen, dass Elternschaft vor psychischen Erkrankungen schützen kann. Die Ärztin betont: „Eltern müssen zwar sehr viel leisten, aber sie bekommen auch sehr viel zurück von ihren Kindern.“ 

Damit es gar nicht erst zu einem Burnout und zu psychischen Erkrankungen wie Depressionen kommt, sollten Eltern ihre Bedürfnisse frühzeitig hinterfragen und diesen auch genug Wichtigkeit einräumen. Wer ausgebrannt ist, könne auch der Familie nichts mehr geben. „Burnout-Prävention fängt also bei einem selbst an“, sagt Könitz. 

Bevor sich Betroffene professionelle Hilfe suchen, kann es hilfreich sein, das eigene Netzwerk zu beleuchten und zu überlegen, wer wie wann unterstützen kann. So können etwa Aufgaben wie Kochen oder Kinder zur Schule bringen und von der Schule abholen mit anderen Eltern, Nachbarn oder Großeltern geteilt werden. „Wichtig ist auch, die eigenen Ansprüche herunterzufahren und weniger perfektionistisch zu denken“, rät die Expertin. Quelle: dpa / mia