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Migräneprophylaxe mit Antikörpern: Wirkt Erenumab besser als Topiramat?

Um den Zusatznutzen der CGRP-Antikörper zur Migräneprophylaxe zu belegen, führt Novartis aktuell eine Phase-IV-Studie durch. | Bild: fizkes / Adobe Stock

Viel Hoffnung setzten Ärzte und Patienten in die Migräne-Antikörper. Mit Erenumab (Aimovig®), Galcanezumab (Emgality®) und Fremanezumab (Ajovy®) sind mittlerweile drei der innovativen Antikörper mit CGRP als Zielstruktur zugelassen. CGRP steht für Calcitonin Gene-Related Peptide, ein Neuropeptid, das nach aktuellem Stand der Wissenschaft eine tragende Rolle in der Krankheitsentstehung (Pathogenese) von Migräne spielt. CGRP-Antikörper (Fremanezumab, Galcanezumab) beziehungsweise CGRP-Rezeptor-Antikörper (Erenumab) sind keine Akut-Therapien: Ärzte verordnen sie folglich nicht bei einem akuten Migräne-Anfall. Sie werden prophylaktisch eingesetzt und sollen Migräne-Attacken vorbeugen.

Steckbrief: Migräne-Antikörper im CGRP-System

Migräne-Antikörper bringen eine völlig neue Therapie-Option für Migränepatienten: Sie zielen auf das Calcitonin-Gene-Related-Peptide-System (CGRP-System), wobei Erenumab an den CGRP-Rezeptor bindet, während Fremanezumab und Galcanezumab das Neuropeptid CGRP direkt neutralisieren. In der Pipeline von Alder Biopharmaceuticals ist noch ein weiterer CGRP-Antikörper: Eptinezumab. Alder untersucht diesen derzeit in klinischen Studien der Phase III (Erprobung an größerem Patientenkollektiv). Zulassungsanträge für Eptinezumab hat der Hersteller bislang nicht eingereicht. Nach aktuellem Stand der Forschung kommt CGRP in der Entstehung der Migräne eine bedeutende Funktion zu. Die These stützt sich vorwiegend auf zwei Beobachtungen: Migräniker weisen zum einen während einer Attacke erhöhte CGRP-Spiegel auf. Zum anderen lassen sich bei Migränepatienten durch CGRP-Injektionen Migräne-Attacken auslösen. 

In der Zulassung unterscheiden sich Erenumab, Fremanezumab und Galcanezumab nicht: Alle drei Antikörper sind indiziert zur Prophylaxe sowohl von episodischer als auch chronischer Migräne, wenn der Patient an mindestens vier Tagen monatlich unter Migräne leidet. Die Zulassung umschließt nur Erwachsene. Für Kinder sind die Antikörper bislang nicht zugelassen. Von chronischer Migräne sprechen Experten ab 15 Migränetagen pro Monat. Die CGRP-Antikörper beziehungsweise CGRP-Rezeptor-Antikörper sind die ersten Präparate, die einzig und speziell zur Migräneprophylaxe entwickelt wurden. Auch zuvor erhielten Migräniker Arzneimittel zur Vorbeugung von Anfällen, allerdings waren diese anderen Therapiegebieten entlehnt – beispielsweise die Betablocker Metoprolol, Bisoprolol oder Propranolol, das Antiepileptikum Topiramat oder das Antidepressivum Amitryptilin.

Damit ein neuer Wirkstoff die Zulassungshürden meistert, muss der pharmazeutische Unternehmer belegen, dass dieser Wirkstoff wirksam und unbedenklich ist sowie die erforderliche pharmazeutische Qualität aufweist. Das ist sowohl Novartis mit Erenumab in Aimovig® geglückt als auch Lilly mit Galcanezumab in Emgality® und Teva mit Fremanezumab in Ajovy®. Die innovativen Therapien scheinen bei Migränepatienten zu wirken – warum also startet Novartis eine weitere Studie zu Erenumab? Dies hat der Pharmakonzern jüngst bekannt gegeben. In HER-MES, so taufte Novartis die Nachzulassungsuntersuchung (Phase IV), vergleicht der Hersteller Erenumab mit Topiramat. Topiramat, eigentlich ein bei Epilepsie eingesetzter Wirkstoff, wird bereits seit Jahren in der Migräneprophylaxe eingesetzt. HER-MES ist die erste Studie, die einen prophylaktischen Migräne-Antikörper Head-to-Head (direkter Vergleich) gegen einen ebenfalls in der Migräneprophylaxe indizierten Wirkstoff untersucht. HER-MES steht für „Head-to-head Study of Erenumab Against topiRamat – a Double-blind, Double Dummy Migraine Study to Assess Tolerability and Efficacy in a patiEnt-Centered Setting“. Die vergleichende Studie hat wohl durchaus ihren Grund.

Basics zur Nutzenbewertung von neuen Wirkstoffen

Denn die Zulassung eines Arzneimittels mit einem neuen Wirkstoff ist eine Sache, wie viel die Krankenkassen dafür bezahlen, eine andere. In Deutschland bildet die Basis für den Erstattungspreis eines Arzneimittels mit neuem Wirkstoff die Nutzenbewertung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). Seit 1. Januar 2011 muss jeder neu zugelassene Wirkstoff hierzulande ein Nutzenbewertungsverfahren durchlaufen. Gesetzliche Grundlage hierfür bildet das AMNOG (Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz). Bei der Nutzenbewertung vergleicht der G-BA, beziehungsweise das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), welches als unabhängiges wissenschaftliches Institut eine Einschätzung abgibt, das neue Arzneimittel mit der zweckmäßigen Vergleichstherapie. Erkennt der G-BA abschließend einen Zusatznutzen zur etablierten Vergleichstherapie, tritt der GKV-Spitzenverband in Preisverhandlungen mit dem pharmazeutischen Hersteller. Findet der G-BA jedoch keinen Zusatznutzen im neuen Wirkstoff, sortiert er das neue Arzneimittel in eine Festbetragsgruppe ein. Ist keine passende Festbetragsgruppe vorhanden, gibt es ebenfalls Preisverhandlungen, wobei der Erstattungspreis für das neue Präparat sodann nicht höher liegt als für die zweckmäßige Vergleichstherapie.

IQWiG: Zusatznutzen bei Erenumab nur für austherapierte Patienten

Diese Nutzenbewertung läuft aktuell für Erenumab. Als „zweckmäßige“ Vergleichsgruppe wollte das IQWiG beispielsweise Migränepatienten sehen, die auf mindestens eine Migräneprophylaxe (zum Beispiel mit einem Betablocker, Topiramat oder Amitryptilin) bislang entweder nicht angesprochen oder diese nicht vertragen hatten. Jüngst gab das IQWiG hier seine Stellungnahme ab und kam zu dem Schluss, dass Erenumab nur verglichen mit Best Supportive Care (BSC) einen Zusatznutzen hat. Unter BSC versteht das IQWiG die bestmögliche, patienten-individuell optimierte, unterstützende Behandlung zur Linderung von Symptomen und Verbesserung der Lebensqualität für austherapierte Patienten. Unter anderem bemängelte das IQWiG, dass vergleichende Daten fehlten – das möchte Novartis nun vielleicht mit HER-MES nachholen.

Wird Erenumab verträglicher sein als Topiramat?

Als Studienziel definiert der Hersteller: „Therapieabbruch aufgrund von Nebenwirkungen.“ Eingeschlossen sind Patienten mit episodischer Migräne, die an vier bis 14 Tagen unter Attacken leiden. Die Studie umfasst 700 Probanden, die entweder Erenumab subkutan in einer Dosis von 70 mg oder 140 mg (Gabe alle vier Wochen) erhalten oder Topiramat oral mit 50 bis 100 mg/Tag. Die Studie läuft multizentrisch, randomisiert, doppelblind und doppeldummy. Das Doppeldummy-Design ist erforderlich, da Erenumab und Topiramat auf unterschiedlichen Wegen – subkutan als Pen oder oral als Tablette – appliziert werden. Beide Patientengruppen erhalten bei diesem Verfahren somit beide Darreichungsformen. Die Studie schließt sowohl therapienaive Patienten ein als auch Patienten, bei denen bereits bis zu drei prophylaktische Migränetherapien erfolglos waren.

Mag der primäre Endpunkt „Therapieabbruch“ zunächst befremdlich scheinen, so könnte dies durchaus Sinn ergeben. Denn das Manko der bislang eingesetzten Prophylaktika ist vor allem die geringe Adhärenz (Therapietreue) der Patienten aufgrund von Nebenwirkungen. Hier könnten Erenumab beziehungsweise die Migräne-Antikörper allgemein punkten. Zwar hatten sich Fachkreise wohl einen durchschlagenderen Erfolg der CGRP- und CGRP-Rezeptor-Antikörper erhofft, doch gehen sie auch davon aus, dass die Verträglichkeit gut sein wird. Diese Einschätzung gab vor kurzem Professor Gerd Bendas vom Pharmazeutischen Institut der Universität Bonn bei der INTERPHARM 2019 in Stuttgart. Bendas sah vor allem Potenzial bei CGRP-Antikörpern, weil diese wenige Nebenwirkungen oder Kontraindikationen hätten.

G-BA entscheidet Erenumab-Zusatznutzen im Mai

Für die aktuelle Nutzenbewertung kommt die HER-MES-Studie zu spät. Der G-BA plant den Zusatznutzen von Aimovig® zum Mai dieses Jahres abschließend bewertet zu haben. Es bleibt spannend, wie der Gemeinsame Bundesausschuss entscheidet und welchen Patienten die neue Therapieoption mit dem CGRP-Rezeptor-Antikörper zulasten der Krankenkasse zur Verfügung stehen wird. Der Preis pro Injektion (alle vier Wochen 70 mg Erenumab) liegt bei 688 Euro und ist somit um ein Vielfaches teurer als eine Migräneprophylaxe mit Topiramat oder einem Betablocker.