Notfallarzneimittel
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Simeticon und Aktivkohle bei Vergiftungen im Haushalt

Kleines Kind spielt mit Putzmittelflaschen.
Kleinkinder wissen noch nicht, was essbar ist und was nicht. In den ersten Lebensjahren kann es daher passieren, dass Reinigungsmittel verschluckt werden. Für den Ernstfall stehen in der Apotheke Notfallarzneimittel bereit. | Bild: New Africa / AdobeStock

Die versehentliche Aufnahme von Wasch- und Reinigungsmitteln gehört zu den häufigsten Ursachen von Vergiftungen im privaten Bereich. Aber auch Unfälle mit Arzneimitteln spielen im häuslichen Umfeld eine Rolle.

Um im Notfall schnell handeln zu können, sind Apotheken laut § 15 Apothekenbetriebsordnung dazu verpflichtet, stets Antischaummittel und 50 Gramm Medizinische Kohle als Pulver zur Herstellung einer Suspension vorrätig zu halten. Doch wenn kleine Kinder im Haushalt leben, ist es sinnvoll, diese Erste-Hilfe-Mittel auch in der Hausapotheke zu haben. Bei der Abgabe sollte das pharmazeutische Personal auf einige Punkte hinweisen.

Vergiftung mit Tensiden: Von Bauchschmerzen bis Luftnot

Aufgrund ihrer bunten Farbe und dem ansprechenden Geruch wirken Flüssigseifen, Wasch- und Reinigungsmittel auf Kleinkinder oft sehr anziehend. Zudem kommt es bei sog. Waschmittelkissen (Liquid Caps) immer wieder zu Verwechslungen mit Süßigkeiten oder Beiß-Kissen. Die Folge: Die Kinder beißen in die Kapseln und die hochkonzentrierte Tensid-haltige Flüssigkeit wird verschluckt. 

Die waschaktiven Tenside von Reinigungsmitteln setzen die Oberflächenspannung des Wassers herab und führen dadurch zur Schaumbildung. Nach versehentlichem Verschlucken kann es zu Schleimhautreizungen und eben zur Schaumbildung kommen. Das Kind muss meist erbrechen und hat Bauchschmerzen. 

Bilden sich große Mengen an Schaum, besteht zudem die Gefahr einer Aspiration. Dabei kann der Schaum auf Höhe des Kehlkopfs in die Atemwege und in die Lunge gelangen. Der Sauerstoffaustausch ist dadurch massiv behindert und es kann im schlimmsten Fall zum Ersticken kommen.

Gut zu wissen: Im Notfall Giftnotrufzentrale anrufen

Bei einem Vergiftungsfall sollte sofort eine Giftnotrufzentrale kontaktiert werden. Bundesweit gibt es verschiedene solcher Informations-Zentralen, die für Notfälle rund um die Uhr erreichbar sind. Eine Liste aller Giftnotrufzentralen stellt das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit auf seiner Website zur Verfügung.

Am Telefon sollte das genaue Produkt und die ungefähre verschluckte Menge angegeben werden. Die Giftnotrufzentrale berät dann über geeignete Maßnahmen und koordiniert das weitere Vorgehen.

Tensid verschluckt – und nun?

Wurden schaumbildende Produkte aufgenommen, sollten schnellstmöglich etwaige Tensid- oder Seifenreste entfernt werden: Spülmittelreste werden vom Mund abgewischt und der Mundraum wird mit wenig Wasser ausgespült. Allerdings sollte keine Flüssigkeit nachgetrunken werden, denn je mehr Flüssigkeit vorhanden ist, desto mehr Schaum kann sich bilden. 

Anschließend sollte umgehend ein Antischaummittel verabreicht werden. Dabei handelt es sich um Suspensionen oder Emulsionen, die zwischen 40 mg und rund 69 mg Simeticon pro Milliliter enthalten. Die oberflächenaktive Mischung aus Polydimethylsiloxan und Siliciumdioxid verändert die Oberflächenspannung der im Magen-Darm-Trakt entstandenen Gasblasen, woraufhin diese zerstört werden. Simeticon wirkt somit ausschließlich physikalisch. Es wird bei oraler Gabe vom Körper nicht resorbiert und unverändert wieder ausgeschieden. 

Vor der Applikation ist die Flasche gut zu schütteln. Bei Flaschen mit Tropfeinsatz erfolgt das Abmessen der Einzeldosis am besten nach Entfernen des Einsatzes. Je nach Schwere der Tensidvergiftung werden unterschiedliche Dosen empfohlen. Im Anschluss an diese Erste-Hilfe-Maßnahme ist ein Arzt zu kontaktieren.

Übersicht: Verschiedene Präparate bei Tensid-Intoxikation

BezeichnungZusammensetzungDosierung
sab simplex® 69,19 mg Simeticon pro 1 ml SuspensionMindestdosis 1 Teelöffel (5 ml)
Lefax® Pump-Liquid41,2 mg Simeticon pro 1 ml Suspension

Erwachsene: 1 bis 2 Esslöffel (10 bis 20 ml)

Kinder: ½ bis 2 Teelöffel (2,5 bis 10 ml)

Espumisan® Emulsion40 mg Simeticon pro 1 ml Emulsion

Gut zu wissen: Keine Milchprodukte!

Nach der Aufnahme von Tensiden dürfen dem Vergifteten niemals Milchprodukte gegeben werden, denn in Kombination mit Wasch- oder Reinigungsmitteln kommt es meist zum Erbrechen. Dabei kommen die giftigen Produkte erneut mit der Speiseröhre in Kontakt. 

Aus dem gleichen Grund sollen auch keine Kochsalzlösungen zum Auslösen von Erbrechen gegeben werden. Zudem kann es bei kleinen Kindern dadurch zu einer schweren Natriumchlorid-Intoxikation kommen.

Vergiftungen mit Medikamenten: Paracetamol im Fokus

Auch Vergiftungsunfälle mit Arzneimitteln kommen im privaten Umfeld häufig vor. So werden Tabletten und Kapseln von Kleinkindern leicht mit Bonbons verwechselt. Ebenso können den Eltern Einnahmefehler passieren: Ähnlich aussehende Medikamente werden verwechselt oder das korrekte Arzneimittel wird zu hoch dosiert.

Vergiftungen mit dem Wirkstoff Paracetamol sind dabei besonders häufig. Aufgrund der geringen therapeutischen Breite und der hohen Hepatotoxizität sind entsprechende Arzneimittel für Kinder besonders gefährlich. Die maximale Dosis beträgt pro Tag nur 60 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht. Diese ist bei den handelsüblichen Paracetamol-Tabletten für Erwachsene (500 mg und 1000 mg) schnell erreicht.

Aktivkohle: Giftstoffe binden und ausscheiden

Im Akutfall ist eine der wichtigsten Maßnahmen die Gabe von Aktivkohle. Diese kann (Gift-)Stoffe binden und so die Resorption im Magen-Darm-Trakt unterbrechen. Die Einnahme sollte möglichst bald nach Aufnahme des Giftstoffs erfolgen. Bei Retard-Präparaten kann die Applikation jedoch auch noch einige Zeit nach der Aufnahme sinnvoll sein. 

Aktivkohle, die auch als medizinische Kohle bezeichnet wird, gehört zu den ältesten Arzneimitteln und wurde bereits vor mehr als 3.000 Jahren von den Ägyptern zur Entgiftung eingesetzt. Ihre Wirkung beruht auf ihrer hochporösen Struktur, ihre innere Oberfläche beträgt bis zu 2.000 m2 pro Gramm.

Bei Vergiftungen wird Aktivkohle als Pulver in Wasser aufgeschlämmt verabreicht. Bei Kinder ist zur Verbesserung der Compliance auch eine andere Flüssigkeit wie Saftschorle oder Tee möglich. Erwachsene mit einem Körpergewicht von mehr als 50 Kilogramm sollen dabei 50 Gramm Aktivkohle als Einmalgabe zu sich nehmen, bei Kindern werden 0,5 g bis 1 g pro Kilogramm Körpergewicht gegeben. Übliche Kohletabletten mit 250 mg Wirkstoff sind viel zu niedrig dosiert und bei Vergiftungen daher nicht geeignet.

Zur Anwendung der Aktivkohle muss der Patient ansprechbar sein. Bei Personen ohne ausreichenden Schluckreflex infolge von Bewusstlosigkeit darf keine Aktivkohle verabreicht werden.

Gut zu wissen: Auch bei Arzneimittelvergiftung keine Milch

Auch bei Vergiftungen mit Arzneimitteln darf keine Milch gegeben werden. Denn fettlösliche Substanzen können sich in den Fetttröpfchen der Milch anreichern und dadurch schneller vom Darm resorbiert werden. 

Auch sollte keinesfalls Erbrechen ausgelöst werden, da die Gefahr einer Aspiration des Mageninhalts sowie einer bedrohlichen Kreislaufreaktion besteht.

Bei welchen Substanzen ist Aktivkohle sinnvoll?

Die meisten Arzneistoffe werden von Aktivkohle gut adsorbiert. Auch bei einer Vergiftung mit pflanzlichen Substanzen wie Nicotin aus dem Tabak und Amatoxin aus dem Knollenblätterpilz ergibt die Einnahme von Aktivkohle Sinn. 

Keine Wirkung zeigt die medizinisch Kohle dagegen bei Vergiftungen mit Alkoholen wie Ethanol, Methanol oder Ethylenglycol. Auch anorganische Salze und organische Lösungsmittel sowie Cyanidverbindungen werden nicht gebunden. Kontraindiziert ist die Gabe von Aktivkohle bei der Aufnahme von ätzenden Flüssigkeiten. Quelle:
https://www.medical-tribune.de/medizin-und-forschung/artikel/intoxikationsgefahr-im-schrank
https://www.lefax.de/babys-und-kinder/spuelmittel-vergiftung
Fachinformation sab simplex®
Fachinformation Lefax®
https://cme.mgo-fachverlage.de/uploads/exam/exam_118.pdf
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2019/daz-39-2019/klein-stark-schwarz
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/ausgabe-122018/fuer-den-notfall-gewappnet/
 

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