Aktuelles
5 min merken gemerkt Artikel drucken

Beschleunigte Zulassung für Lecanemab: USA lassen Antikörper gegen Alzheimer zu

Gehirn als Puzzle, ein Teil fehlt
Ein neuer Antikörper scheint die Krankheit Alzheimer langsamer voranschreiten zu lassen. | Bild: Orawan / AdobeStock

Durchschlagende Therapieerfolge fehlen bislang bei Alzheimer-Arzneimitteln. Die Erkrankung ist derzeit nicht heilbar. Froh ist man somit, wenn neue Wirkstoffe es wenigstens schaffen, die Alzheimer-Demenz zu verzögern. Lecanemab könnte dies gelingen. Der Anti-Amyloid-Antikörper wurde jüngst in den USA in einem beschleunigten Verfahren zugelassen. Ein Antrag bei der EMA könnte noch in diesem Jahr eingehen. 

Gut zu wissen: Beschleunigtes Zulassungsverfahren der FDA

Im sogenannten beschleunigten Zulassungsverfahren prüft die FDA Arzneistoffe gegen schwere, bis dato nicht ausreichend behandelbare Erkrankungen. Anders als im regulären Zulassungsverfahren können im beschleunigten Verfahren Studien berücksichtigt werden, die mittels sinnvoller Surrogat-Endpunkte oder intermediärer klinischer Endpunkte einen klinischen Vorteil und therapeutischen Effekt des untersuchten Arzneimittels plausibel nahelegen. 

Da Studien mit Surrogat-Endpunkten (z. B. Senkung des Blutdrucks) schneller durchführbar sind als solche, die tatsächliche klinische Endpunkte (z. B. Vermeidung von Schlaganfall) messen, soll so die Zeit von der Wirkstofffindung bis zur Zulassung verkürzt werden.

Lecanemab reduziert Amyloid-Ablagerungen in Phase-2-Studie

Der Zulassung zugrunde liegt eine doppelblinde, placebokontrollierte Phase-2-Studie, in deren Rahmen 856 Alzheimerpatienten im Frühstadium über 79 Wochen hin untersucht wurden. Einschlusskriterium war hierbei der Nachweis von Amyloid-Ablagerungen in den Gehirnen der Studienteilnehmenden. 

Es konnte eine signifikante dosis- sowie zeitabhängige Reduktion dieser Ablagerungen bei den Patienten der Verumgruppe gezeigt werden. Dies ordnet die FDA als plausiblen Surrogat-Endpunkt ein, der auf einen therapeutischen Nutzen des Antikörpers schließen lässt. 

Dass zu Lecanemab mittlerweile auch Ergebnisse einer klinischen Phase-3-Studie publiziert wurden, wertete die FDA positiv. Da die der Studie zugrunde liegenden Daten der Behörde noch nicht vorgelegt wurden, konnten diese jedoch noch nicht in die Bewertung einbezogen werden.

Unter Lecanemab langsameres Voranschreiten von Alzheimer

Die Phase-3-Studie (Clarity AD) „Lecanemab in Early Alzheimer's Disease“ veröffentlicht im „The New England Journal of Medicine“, veröffentlicht Ende November 2022   verlief randomisiert, placebokontrolliert und doppelblind. 1.795 Teilnehmer mit milden kognitiven Beeinträchtigungen oder milder Demenz aufgrund von Alzheimer (im Alter von 50 bis 90 Jahren) erhielten entweder Lecanemab (898) oder Placebo (897). 

Die Wirksamkeit von Lecanemab wurde mithilfe des Clinical-Dementia-Rating(CDR)-Sum-of-Boxes(SB)-Score bestimmt, anhand dessen die Studienärzte die Schwere der Demenz-Erkrankung festmachten. Sie bewerteten dafür die kognitiven Funktionen der Erkrankten in sechs Bereichen: 

  • Gedächtnis,
  • Orientierung,
  • Urteilsvermögen und Problemlösung,
  • Sozialverhalten,
  • Wohnsituation und Hobbys sowie
  • Lebensführung.

Die Skala reicht von 0 (normal) bis 18 (schwere Demenz). Zu Studienbeginn lag der Score bei den Alzheimerpatienten bei 3,2.  

18 Monate später hatte sich der Wert in der Lecanemabgruppe um 1,21 Punkte und in der Placebogruppe um 1,66 Punkte verschlechtert – das bedeutet, dass der Verlust kognitiver Fähigkeiten mit dem Antikörper um 27 Prozent geringer war als mit Placebo. 

Dennoch hat sich auch unter Lecanemab der Score erhöht. Der Antikörper konnte die Alzheimer-Demenz folglich nicht stoppen oder gar verlorene Strukturen „reparieren“.

Lecanemab: Antikörper gegen lösliches Amyloid

Lecanemab richtet sich, wie auch die anderen bekannten „Alzheimer-Antikörper“ Aducanumab und Gantenerumab, gegen Amyloid. Sogenannte Amyloid-Plaques (spezielle Ablagerungen) bringt man in Verbindung mit der Alzheimer-Erkrankung. 

Richtig erfolgreich war man bislang in diesem Bereich jedoch nicht. Aducanumab (AduhelmTM) ist in den USA zwar zugelassen, die Wirksamkeit jedoch umstritten, sodass sich die Europäische Arzneimittelagentur gegen die Zulassung entschied. 

Gantenerumab kam noch gar nicht so weit: Roche informierte Ende November 2022 über enttäuschende Studienergebnisse in den Phase-3-Untersuchungen (GRADUATE I, GRADUATE II). 

Anders als Aducanumab und Gantenerumab adressiert Lecanemab jedoch nicht die abgelagerten Amyloid-Plaques, sondern lösliches Amyloid und eliminiert dieses, bevor es sich ablagern kann.

Dass dies funktioniert, zeigt ein weiteres Studienergebnis der Lecanemab-Studie: In einer Untergruppe der Studienteilnehmer reduzierte Lecanemab im Zeitraum von 18 Monaten die Amyloid-Last stärker als Placebo, und das mit statistischer Signifikanz. Das heißt: Die Unterschiede in den beiden Studiengruppen lassen sich nicht allein durch Zufall erklären.

Die Nebenwirkungen von Lecanemab

Schwere Nebenwirkungen traten bei 14 Prozent der Studienteilnehmer mit Lecanemab auf. Auch unter Placebo kam es bei 11,3 Prozent der Probanden zu schweren unerwünschten Ereignissen. 

Interessant im Zusammenhang mit Anti-Amyloid-Therapien sind stets sogenannte ARIA – Amyloid-related Imaging Abnormalities. Diese zeigen sich in der Magnetresonanztomographie (MRT) als beispielsweise Hirnschwellungen oder Hirnblutungen. Hirnschwellungen betrafen 12,6 Prozent der Lecanemab-Patienten und 1,7 Prozent der Placebo-Patienten. Zu Hirnblutungen kam es bei 17,3 Prozent der Lecanemab- und 9 Prozent der Placebo-Empfänger. 

In der Studie kam es auch zu Todesfällen: 0,7 Prozent mit Lecanemab und 0,8 Prozent mit Placebo, wobei die Studienautoren die Todesfälle nicht mit der Behandlung in Verbindung bringen. Allerdings verstarben zwei weitere Studienteilnehmer nach Beendigung der Studie, was noch weiter zu untersuchen ist.  

Experten sind vorsichtig optimistisch

Dr. Linda Thienpont, Leiterin Wissenschaft bei der Alzheimer Forschung Initiative, stimmen die Studienergebnisse „vorsichtig optimistisch“. Lecanemab habe den Krankheitsverlauf verzögert, was „bisher noch kein Wirkstoff geschafft“ habe. 

Und weiter: „Allerdings ist die Verbesserung der Kognition von 27 Prozent nur sehr moderat. Es ist deshalb fraglich, wie stark dieser Effekt für Betroffene spürbar ist und tatsächlich im Alltag einen Unterschied macht.“ Klar sei auch, dass Lecanemab Alzheimer nicht heile, sondern „den Verlauf im frühen Krankheitsstadium im besten Fall verzögert“.

Nach Einschätzungen der Alzheimer Forschung Initiative e.V. dürften die Chancen auf eine Zulassung in Europa aufgrund der positiven Phase-3-Ergebnisse deutlich gestiegen sein: „Die Hersteller Biogen und Eisai wollen bis Ende März einen Zulassungsantrag bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMA stellen. Eine Entscheidung würde dann voraussichtlich noch in diesem Jahr fallen. Dann wäre das Medikament Leqembi auch in Deutschland erhältlich“, liest man auf der Website der Initiative.