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Zum Weltnichtrauchertag am 31. Mai: Tabakentwöhnung: Wie gut helfen Vareniclin und Cytisin?

Sticker mit dem Spruch "Du musst dein Leben ändern" klebt auf Stein neben Zigarettenstummel
Forscher haben die Studien zu Champix und Asmoken ausgewertet. | Bild: blende11.photo / AdobeStock

Rauchen ist extrem schädlich für die Gesundheit. Deswegen sei „für Menschen, die rauchen, Aufhören das Beste, was sie für ihre Gesundheit tun können“, erklärt ein Autorenteam um Jonathan Livingstone-Banks von der „Cochrane-Library“. 

Zur Erinnerung: Was ist Cochrane?

Cochrane ist ein internationales Forschungsnetzwerk. Die Autoren erstellen systematische Übersichtsarbeiten (Reviews) und wollen damit eigenen Angaben zufolge „Grundlagen für eine evidenzbasierte Gesundheitsversorgung“ schaffen.

Nikotinrezeptor-Teilagonisten – wie Vareniclin in Champix® und Cytisin in Asmoken® – sind verschreibungspflichtige Arzneimittel, die Ärzte zur unterstützten Raucherentwöhnung verordnen können. Die Präparate sollen Entzugserscheinungen wie Heißhunger oder Stimmungsschwankungen mildern, können aber unerwünschte Nebenwirkungen – Übelkeit, Magenprobleme, Schlafstörungen, abnorme Träume, Kopfschmerzen, Herzprobleme oder erhöhten Blutdruck – verursachen.

„Lohnt“ es sich, diese möglichen Nebenwirkungen in Kauf zu nehmen? Und unterstützen Vareniclin und Cytisin relevant beim Rauchentzug? Oben genannte Cochrane-Autoren veröffentlichten nun Anfang Mai 2023 eine systematische Übersichtsarbeit zu diesem Thema. 

Daten aus 75 Studien

Die Autoren hatten 75 Studien mit 45.049 Teilnehmenden analysiert, in denen Vareniclin oder Cytisin mit 

  • Placebo,
  • Nikotinersatztherapien (Pflaster oder Kaugummi),
  • Bupropion,
  • E-Zigaretten oder
  • einem anderen Nikotin-Teilagonisten

verglichen worden waren. Die Wissenschaftler wollten herausfinden, wie viele Raucher mit Vareniclin oder Cytisin für mindestens sechs Monate mit dem Rauchen aufhören konnten und wie häufig unerwünschte Wirkungen auftraten. Ihre Arbeit aktualisiert einen bereits bestehenden Review zur Raucherentwöhnung, der nun 45 neue Studien berücksichtigt.

Zur Erinnerung: So wirken Cytisin und Vareniclin

Cytisin ähnelt in seiner Struktur der des Nikotins und wirkt als teilweiser (partieller) Agonist am Nikotinrezeptor. „Die Wirkung von Cytisin ist der von Nikotin vergleichbar, aber generell schwächer“, heißt es in der Fachinformation zu Asmoken®. Allerdings bindet Cytisin stärker an den Rezeptor, verdrängt so Nikotin und erhöht die Dopaminspiegel im Gehirn „mäßiggradig“, was die Symptome des Nikotinentzugs zentral lindert.  

In der Peripherie stimuliert Cytisin die Atmung und sorgt für die Ausschüttung von Noradrenalin und Adrenalin – der Blutdruck erhöht sich, was ebenfalls die Entzugssymptome abschwächt.

Auch Vareniclin fungiert als Teilagonist am Nikotinrezeptor. Diese Bindung lindert laut Fachinformation zu Champix® „die Symptome des Rauchverlangens und des Entzugs (agonistische Wirkung)“ und reduziert gleichzeitig den Belohnungseffekt beim Rauchen, indem es verhindert, dass Nikotin an seinen Rezeptor bindet (antagonistische Wirkung).

Was hilft besser bei Rauchentwöhnung: Vareniclin oder Cytisin?

Nach Sichtung der Daten kommen die Cochrane-Wissenschaftler bei Vareniclin aktuell zu folgendem Schluss: Champix® hilft bei einer sechsmonatigen Rauchentwöhnung besser als Placebo (41 Studien mit 17.395 Personen), Bupropion (neun Studien mit 7.560 Personen) oder wenn die Raucher auf lediglich eine Art des Nikotinersatzes (Nikotinpflaster oder -kaugummi) setzen (elf Studien mit 7.572 Personen). 

Unklar bleibt jedoch, ob Vareniclin verglichen mit einer kombinierten Nikotinersatztherapie (Kaugummi plus Pflaster) vorteilhafter ist (fünf Studien mit 2.344 Personen).

Auch Cytisin hilft den Cochrane-Autoren zufolge „wahrscheinlich mehr Menschen bei der Rauchentwöhnung als Placebo“. Zu dieser Erkenntnis gelangen sie auf Basis von vier Studien mit 4.623 Teilnehmenden. 

Allerdings könnte Vareniclin noch besser wirksam sein als Cytisin, was die Ergebnisse zweier Studien an 2.131 Personen nahelegen. Abschließend geklärt sei jedoch nicht, dass Vareniclin Cytisin tatsächlich überlegen ist. In Zahlen ausgedrückt bedeutet dies: 

„Von 100 Personen, die Vareniclin zur Rauchentwöhnung verwenden, können möglicherweise 21 bis 25 erfolgreich mit dem Rauchen aufhören, verglichen mit nur 18 von 100 Personen, die Bupropion verwenden, 18 von 100 Personen, die eine einzige Form der Nikotinersatztherapie verwenden, und 20 von 100, die zwei oder mehr Arten von Nikotinersatztherapie verwenden. Von 100 Personen, die Cytisin zur Rauchentwöhnung verwenden, können möglicherweise 18 bis 23 erfolgreich aufhören.“

Autorenteam um Jonathan Livingstone-Banks von der „Cochrane-Library“

Wie gut verträglich sind Champix® und Asmoken®?

Auch die Frage der Verträglichkeit beschäftigte die Cochrane-Wissenschaftler: Unter Vareniclin kam es mit 2,7 bis 4 Prozent der Patienten „selten“ zu schweren unerwünschten Ereignissen, die auch unter Placebo bei 2,7 Prozent der Patienten auftraten. 

Insgesamt sei ein ursächlicher Zusammenhang schwerer Nebenwirkungen mit Vareniclin nicht immer sicher, doch beobachteten die Wissenschaftler punktuell höhere Raten an schweren kardialen Ereignissen. Raucher mit Vareniclin hatten auch ein geringeres Risiko für neuropsychiatrische Ereignisse. 

Erhielten die Patienten Cytisin, war das Risiko schwerwiegender unerwünschter Wirkungen im Vergleich zu Personen, die es nicht einnahmen, geringfügig erhöht.  

Verglichen mit Vareniclin könnte Cytisin besser verträglich sein.

„Arznei-Telegramm“ riet 2021 von Cytisin ab

Die Cochrane-Autoren sind nicht die einzigen Wissenschaftler, die die Frage zur Wirksamkeit und Verträglichkeit von Präparaten zur Raucherentwöhnung umtreibt. 

Das „Arznei-Telegramm“ – eigenen Angaben zufolge eine neutrale, unabhängige und anzeigenfreie medizinische Fachzeitschrift – hielt im Januar 2021 die Datenlage zu Cytisin für „widersprüchlich“. Der Grund dafür sei, das Cytisin verglichen mit Placebo teilweise die Abstinenzrate zwar erhöhe, jedoch nur eine Studie mit Daten nach einem Jahr vorläge, die mittels Biomarker erfasst seien – und nicht anhand von selbst berichteten Abstinenzraten der Studienteilnehmenden.

Das „Arznei-Telegramm“ erkannte damals keinen Vorteil gegenüber Nikotinersatz, dafür jedoch mehr Nebenwirkungen. Von Vareniclin raten die „Arznei-Telegramm“-Autoren bereits seit 2016 ab.

Was empfiehlt die Leitlinie zur Raucherentwöhnung?

Die bis 2025 geltende „S3-Leitlinie Rauchen und Tabakabhängigkeit: Screening, Diagnostik und Behandlung“ empfiehlt derzeit Cytisin zurückhaltender als Vareniclin. 

So heißt es bei Vareniclin: „Der Einsatz von Vareniclin soll zur Tabakentwöhnung angeboten werden“, wenn eine Nikotinersatztherapie nicht ausreichend wirksam gewesen sei (ergänzende Position der DEGAM, Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin). 

Bei Cytisin lautet die Empfehlung, dass es zur Tabakentwöhnung angeboten werden „kann“, nach Versagen anderer zugelassener Therapien.

Zahlen die Krankenkassen bald für Vareniclin und Cytisin?

Derzeit gelten Arzneimittel zur Tabakentwöhnung als Lifestyle-Arzneimittel. Damit fallen Präparate mit Nikotin, Bupropion, Vareniclin oder Cytisin nicht in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen, und die Raucher müssen diese Behandlung aktuell selbst bezahlen. 

Allerdings beschloss der Bundestag am 11. Juli 2021 das „Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung“. Demzufolge haben „Versicherte, bei denen eine bestehende schwere Tabakabhängigkeit festgestellt wurde, Anspruch auf einmalige Versorgung mit Arzneimitteln zur Tabakentwöhnung im Rahmen von evidenzbasierten Programmen zur Tabakentwöhnung“. Frühestens drei Jahre nach Abschluss der Therapie soll eine wiederholte Behandlung möglich sein. 

Allerdings ist die exakte Erstattung der Arzneimittel zur Rauchentwöhnung noch nicht spruchreif. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) – beziehungsweise das von ihm beauftragte Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen – prüft derzeit noch, welche konkreten Präparate die Krankenkassen künftig bezahlen sollen und wie „evidenzbasierte Programme zur Tabakentwöhnung“ aussehen. Ergebnisse will der G-BA Ende 2023 vorstellen.