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Insulinempfindlichkeit ist zyklusabhängig

Frau spritzt sich Insulin
Nach ihrem Eisprung zeigen Frauen eine zentrale Insulinresistenz. | Bild: Gecko Studio / AdobeStock

Insulin senkt den Blutzuckerspiegel, indem es unter anderem die Glukoseaufnahme in die Muskelzellen fördert und in Leber und Muskeln die Glykogensynthese und -speicherung induziert (Glykogen ist die Speicherform der Glukose). 

Doch auch unser Gehirn ist insulinempfindlich und reagiert auf Insulin: Überwindet Insulin die Blut-Hirn-Schranke (BHS), unterdrückt das Peptidhormon die körpereigene Glukosesynthese und fördert die Glukoseaufnahme in periphere Gewebe – das zeigten Wissenschaftler bereits 2017 an gesunden Männern.

Um diese Insulinwirkung im Gehirn selektiv zu untersuchen, bevorzugen Wissenschaftler, Insulin über die Nase (intranasal) zu verabreichen. Denn: Auf diesem Weg gelangen beträchtliche Mengen Insulin ins Gehirn, jedoch nur ein kleiner Anteil ins Blut, was direkte periphere Insulinwirkungen nahezu verhindert und somit Aussagen über die selektive Wirkung von Insulin im Gehirn zulässt.

Insulinresistenz des Gehirns bei fettleibigen Menschen 

Nicht bei allen Menschen bewirkt Insulin im Gehirn die gleichen Effekte. Nicht wenige Menschen hätten „eine verminderte oder sogar fehlende Reaktion auf Insulin im Gehirn“, eine sogenannte Insulinresistenz, berichten Wissenschaftler im Fachjournal „Nature Metabolism“. 

Das bedeutet: Bei diesen Menschen moduliert das Hirninsulin den peripheren Stoffwechsel nicht ausreichend – was vor allem bei fettleibigen Menschen vorkommt, aber auch bei Menschen, bei denen der Insulintransport durch die Blut-Hirn-Schranke gestört ist oder die eine genetische Veranlagung dafür haben (Prädisposition). 

Insulinreaktion bei Frauen und Männern unterschiedlich

Zudem gibt es bei der Insulinwirkung im Gehirn Studien zufolge deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede: Intranasales Insulin verringerte bei schlanken Männern deren Nahrungsaufnahme, nicht jedoch bei Frauen. 

Außerdem reduzierten nach achtwöchiger intranasaler Insulingabe nur Männer ihr Körpergewicht und ihren Körperfettanteil, Frauen aber nicht.

Hängt Insulinwirkung mit Menstruationszyklus zusammen?

Grafik zum Menstruationszyklus
Der weibliche Zyklus erfolgt in drei Phasen. | Bild: PTAheute

Hängt die Insulinwirkung im Gehirn bei Frauen vielleicht auch mit dem Zyklus zusammen? Diese Frage stellten sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Institut für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen am Universitätsklinikum Tübingen. 

Sie untersuchten mittels eines Insulin-Clamp an elf schlanken, gesunden Frauen – jeweils vor (Follikelphase) und nach (Lutealphase) deren Eisprung – welche Effekte nasales Insulin verglichen mit Placebo bewirkt. 

Die Studienteilnehmerinnen erhielten eine definierte Insulinmenge. Um zu verhindern, dass sie insulinbedingt zu niedrige Blutzuckerspiegel erreichen, erhielten sie Glukoseinfusionen, die ihre Blutzuckerspiegel wieder auf Nüchternniveau ausglichen. 

Je nachdem, wie stark der Stoffwechsel der Frauen auf die Insulingabe reagiert hatte, erforderte dies unterschiedliche Glukosemengen: Je mehr Glukoselösung verabreicht werden musste, desto empfindlicher waren die Frauen auf Insulin (höhere Insulinsensitivität) – und dies scheint abhängig von der Phase des Menstruationszyklus.

Zur Erinnerung: Die Phasen des Menstruationszyklus

Der weibliche Menstruationszyklus ist ein komplexer biologischer Prozess, der sich in mehrere Phasen unterteilen lässt.  

Menstruationsphase: Der Menstruationszyklus beginnt mit der Menstruationsphase, in der die Gebärmutterschleimhaut, die sich in der vorherigen Zyklusphase aufgebaut hat, abgestoßen wird. Dies führt zur monatlichen Blutung, die in der Regel 3–7 Tage dauert.  

Follikelphase: Nach der Menstruationsphase beginnt die Follikelphase. In dieser Phase beginnen die Eierstöcke, Follikel (Eibläschen) zu entwickeln, von denen einer zum dominanten Follikel heranwächst. Dieser enthält die Eizelle, die auf die Freisetzung (Ovulation) vorbereitet wird.  

Ovulation (Eisprung): Die Ovulationsphase tritt etwa in der Mitte des Menstruationszyklus auf. Der dominante Follikel platzt, und die reife Eizelle wird freigesetzt. Sie wandert in den Eileiter und steht bereit, auf eine Befruchtung durch Spermien zu warten.  

Lutealphase: Nach dem Eisprung beginnt die Lutealphase. Der leere Follikel wird zur Gelbkörperzelle (Corpus luteum), die Progesteron produziert, um die Gebärmutterschleimhaut für eine mögliche Schwangerschaft vorzubereiten. Wenn keine Befruchtung stattfindet, bildet sich der Corpus luteum zurück und die Progesteronproduktion sinkt.  

Prämenstruelle Phase: In den Tagen vor der erwarteten Menstruation kann es zu prämenstruellen Symptomen wie Stimmungsschwankungen, Brustspannen und Unterleibsschmerzen kommen. Wenn keine Schwangerschaft eingetreten ist, setzt die Menstruation erneut ein und ein neuer Zyklus beginnt.  

Diese Phasen wiederholen sich im Durchschnitt alle 21 bis 35 Tage, wobei die Zykluslänge von Frau zu Frau variieren kann.  

Höhere Insulinempfindlichkeit vor dem Eisprung

Das Ergebnis: Die Glukoseinfusionsraten (primärer Endpunkt), um den Blutzuckerspiegel wieder auszugleichen, unterschieden sich vor und nach dem Eisprung signifikant. 

In der Follikelphase mussten die Wissenschaftler nach dem Insulin-Nasenspray – erwartungsgemäß – mehr Glukose infundieren als nach Placebo, dieser Unterschied blieb bestehen. In der Lutealphase hingegen stellten die Forschenden nach einer gewissen Zeit keinen signifikanten Einfluss der Hirninsulinwirkung auf die Glukoseinfusionsrate fest. 

Das bedeutet: Die Frauen reagierten nach ihrem Eisprung deutlich weniger empfindlicher auf Insulin als vor der Ovulation. Diese Beobachtung konnten die Wissenschaftler an 15 weiteren Frauen mittels einer MRT (Magnetresonanztomographie) bestätigen: Auch hier zeigte sich der Hypothalamus in der Follikelphase auf Insulin empfindlicher als in der Lutealphase. 

Begünstigt eine hohe Insulinempfindlichkeit die Vorbereitung auf eine Schwangerschaft?

Welchen Nutzen hat der weibliche Körper durch die unterschiedliche Insulinempfindlichkeit in der ersten und zweiten Hälfte des Zyklus? Es sei „verlockend, über die möglichen physiologischen Funktionen der Regulierung der Insulinempfindlichkeit des Gehirns während des Menstruationszyklus zu spekulieren“, sagen die Wissenschaftler dazu.

Ihre Überlegung: Eine wichtige Funktion des Menstruationszyklus sei es, den Körper auf eine mögliche Schwangerschaft vorzubereiten und Glukose vor allem den Organen zur Verfügung zu stellen, die einen hohen Energiebedarf hätten – wie Eierstöcke und die wachsende Gebärmutterschleimhaut. 

Insulin spiele eine wichtige Rolle sowohl bei der Follikelreifung als auch der Proliferation des Endometriums. „Eine angemessene Verbesserung der peripheren Insulinsensitivität durch das Gehirn könnte die insulinsensitiven Prozesse in der Gebärmutter und den Eierstöcken unterstützen“, meinen die Wissenschaftler. Hingegen könnte die nach dem Eisprung geringere hirnvermittelte periphere Insulinempfindlichkeit begünstigen, dass Energie im Fettgewebe gespeichert werde. Das könnte erklären, warum Menschen mit einer zentralen Insulinresistenz zu Übergewicht neigen.

Interessant ist, dass Frauen also lediglich in der ersten Zyklushälfte eine Insulinempfindlichkeit des Gehirns ähnlich wie schlanke Männer aufweisen, während sie in der Phase nach dem Eisprung eine zentrale Insulinresistenz zeigen, wie sie von übergewichtigen Männern bekannt ist.

Insulindosis bei Typ-1-Diabetikerinnen oft zyklusabhängig

„Wir wissen, dass sich die Insulinempfindlichkeit während des Zyklus verändert. Frauen mit Typ-1-Diabetes müssen ihre Insulindosis oft an die Zyklusphasen anpassen beziehungsweise bemerken starke Zyklus-abhängige Schwankungen ihrer Blutzuckerwerte“, ordnet Prof. Dr. Alexandra Kautzky-Willer (Leiterin des Bereichs Gendermedizin, Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel, Klinik für Innere Medizin III, Medizinische Universität Wien, Österreich) die Studienergebnisse für das „Science Media Center“ ein. Sie war an der Studie nicht beteiligt. 

Und weiter: Es sei „sehr wichtig“, in zukünftigen Experimenten – besonders in der Stoffwechsel- und Gewichtsregulationsforschung – die Zyklusphase, den Sexualhormonspiegel und die Insulinempfindlichkeit stärker zu berücksichtigen.

Limitierend für die aktuelle Studie sind die kleinen Teilnehmerinnenzahlen von elf und 15, zudem beteiligten sich nur schlanke Frauen ohne hormonelle Verhütungsmittel. Nicht vergessen darf man zudem, dass das Insulin intranasal verabreicht wurde, was keinem physiologischen Prozess entspricht.