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Weniger Migränetage pro Monat: Atogepant beugt Migräne wirksam vor

Eine Studie aus Amerika zeigt: Atogepant kann dem Aufkommen einer Migräne wirksam vorbeugen. | Bild: LIGHTFIELD STUDIOS / AdobeStock

Der Migräne den Garaus machen, noch bevor der Kopfschmerz kommt: In den letzten Jahren forschen Pharmaunternehmen vermehrt an Arzneimitteln zur Vorbeugung von Migräne. CGRP (Calcitonin Gene-Related Peptide) hat sich hier als wichtiges Ziel für die Migräneprävention herauskristallisiert und wird bereits therapeutisch genutzt: Die Migräne-Antikörper – die tatsächlich ersten, speziell zur Vorbeugung von Migräne entwickelten Wirkstoffe – greifen in das CGRP-System ein. Allerdings müssen Migränepatienten Erenumab (Aimovig®), Fremanezumab (Ajovy®) und Galcanezumab (Emgality®) subkutan, also per Pen oder Fertigspritze, verabreichen. Eptinezumab (Vyepti®) können behandelnde Ärzte sogar nur intravenös geben. 

Orale Prophylaxe gewünscht: Rimegepant und Atogepant

Praktisch wäre doch, wenn man das CGRP-System auch mit oralen Tabletten modulieren und dadurch Migräneanfällen vorbeugen könnte. Das Wirkstoff-Stichwort lautet hier: „Gepante“. Mit Rimegepant (Vydura®) schaffte am 25. April 2022 der erste Vertreter dieser innovativen Wirkstoffklasse die Zulassung zur Akuttherapie und Prophylaxe in der EU. In den Vereinigten Staaten erhielt Rimegepant in NurtecTM am 27. Februar 2020 zunächst die Zulassung zur Akuttherapie bei episodischer Migräne, am 27. Mai 2021 folgte die Zulassung zur Migräneprophylaxe.  

Ein zweiter „Gepant“ – Atogepant – ist auf einem guten Weg, was im Juni veröffentlichte Studiendaten in „JAMA Network“(„Rates of Response to Atogepant for Migraine Prophylaxis Among Adults: A Secondary Analysis of a Randomized Clinical Trial“)  bestätigen. In den Vereinigten Staaten erhielt das Unternehmen Abbvie bereits im September 2021 die Zulassung für Atogepant (QuliptaTM) zur Prophylaxe von episodischer Migräne (in den Stärken 10 mg, 30 mg und 60 mg). Am 21. Juni 2022 reichte das Unternehmen nun weitere Daten bei der FDA ein, um auch eine Zulassung zur Vorbeugung bei chronischer Migräne (Kopfschmerzen an mindestens 15 Tagen pro Monat, an mindestens acht dieser Tage Migräne) zu erhalten. Damit wäre Atogepant das erste „Gepant“, das zur Migräneprophylaxe sowohl bei episodischer wie auch chronischer Migräne angewendet werden dürfte.

In der nun im JAMA veröffentlichten Studie interessierten sich die Wissenschaftler für die Ansprechraten (mindestens 25 Prozent, mindestens 50 Prozent, mindestens 75 Prozent oder 100 Prozent) der Migränepatienten (18 bis 80 Jahre, mit der Diagnose Migräne seit mindestens einem Jahr) auf Atogepant, jeweils nach Behandlungsintervallen von vier Wochen (Woche 1–4, Woche 5–8, Woche 9–12) und verglichen diese mit Placebo. Den Nutzen ihrer Untersuchung sehen die Studienautoren vor allem für die „Praxis“: Ärzte können durch die vergleichenden Daten ihrer Patienten sodann das unterschiedliche Ansprechen der Patienten auf eine gewählte Dosis und Behandlungsdauer erklären.

Migräneprophylaxe – für wen und wozu?

Die „American Headache Society“ nahm 2018 Stellung zu neuen Migränetherapeutika für die klinische Praxis. Sie ging dabei auf Ziele einer Prophylaxe ein und arbeitete heraus, für welche Migränepatienten und warum eine Migräneprophylaxe in ihren Augen infrage kommt(veröffentlicht in „Headache: The Journal of Head and Face Pain“: „The American Headache Society Position Statement On Integrating New Migraine Treatments Into Clinical Practice“) .

Ziele:  

  • Verringerung der Häufigkeit, Schwere und Dauer der Migräneanfälle
  • Weniger kopfschmerzbedingte und psychologische Beschwerden
  • Besseres Ansprechen auf die Akutbehandlung, um eine Behandlungseskalation zu vermeiden
  • Verringerung migränebedingter Einschränkungen
  • Verringerung der migränebedingten Kosten
  • Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität
  • Weniger Abhängigkeit der Patienten von schlecht verträglichen, unwirksamen oder unerwünschten Akutbehandlungen
  • Patienten in die Lage versetzen, ihre Krankheit selbst zu managen, um das Gefühl der persönlichen Kontrolle zu verbessern

Vor der Zulassung von Rimegepant (Vydura®) gab es kein orales Migräneprophylaktikum, das speziell entwickelt worden war, um Migräneattacken vorzubeugen. 

Die Autoren in „Headache“ beschrieben die zuvor verfügbaren oralen Arzneimittel zur Migräneprophylaxe – die ausnahmslos anderen Therapiebereichen entlehnt sind (z. B. Betablocker, Antidepressiva, Calciumkanalblocker, Antiepileptika) – mit einer „begrenzten bis mäßigen Wirksamkeit, mäßigen bis hohen Raten von unerwünschten Ereignissen, Kontraindikationen oder Wechselwirkungen, die die Anwendung einschränken“. Nur 3 bis 13 Prozent nähmen eine präventive Behandlung in Anspruch, obwohl 40 Prozent der Menschen mit episodischer und fast alle Patienten mit chronischer Migräne davon profitieren könnten, sind sie überzeugt.

Eine Migräneprophylaxe empfiehlt die „American Headache Society“

  • bei mindestens vier Attacken pro Monat,
  • wenn die Attacken den Alltag der Patienten trotz Akutbehandlung erheblich beeinträchtigen,
  • wenn Akutbehandlungen kontraindiziert sind, nicht ausreichend wirken oder zu häufig angewendet werden müssen (Triptane, Opioide, Mutterkornalkaloide, Kombinationsanalgetika an mindestens zehn Tagen pro Monat; NSAR, Paracetamol oder Nicht-Opioid-Analgetika an mindesten 15 Tagen pro Monat),
  • bei Nebenwirkungen der Akutbehandlung oder
  • wenn Patienten eine Prophylaxe wünschen.

Wie wirkt Atogepant bei episodischer Migräne?

Die Wissenschaftler zogen dafür Daten aus der Zulassungsstudie von Atogepant heran(veröffentlicht im August 2021 im „New England Journal of Medicine“: „Atogepant for the Preventive Treatment of Migraine“) . Die Patienten waren in vier Gruppen aufgeteilt und hatten entweder einmal täglich 10 mg Atogepant (n = 222), 30 mg Atogepant (n = 230), 60 mg Atogepant (n = 235) oder Placebo (n = 223) für zwölf Wochen erhalten. Zuvor – 28 Tage bis Studienbeginn – hatten die Migränepatienten ihre Migränetage dokumentiert, diese dienten als Vergleichswert. Dabei zählte als Kopfschmerztag, wenn der Kopfschmerz mindestens zwei Stunden anhielt.

Die Studienteilnehmer durften als Akutmedikation NSAR, Triptane oder Ergotalkaloide, Opioide oder Paracetamol anwenden, sofern dies nicht häufiger als an zwei Tagen (Opioide), an zehn Tagen (Triptane, Ergotalkaloide) oder 15 Tagen (NSAR, Paracetamol) der Fall war.

Die Patienten litten bei Studienbeginn im Durchschnitt an 7,5 Migränetagen im Monat (Atogepant 10 mg), an 7,9 Tagen in der 30-mg-Atogepantgruppe und an 7,8 Tagen in der 60-mg-Atogepantgruppe. Unter allen Dosierungen ließen sich die monatlichen Migränetage nach zwölf Wochen bei mindestens der Hälfte der Migräniker mindestens halbieren: 55,6 Prozent unter 10 mg Atogepant, 58,7 Prozent bei 30 mg Atogepant und 60,8 Prozent unter 60 mg Atogepant. Der Effekt wurde unter Placebo nur bei 29 Prozent der Studienteilnehmer beobachtetet. Damit erhöhte Atogepant die Chance, dass sich die Migränetage um 50 Prozent verringerten, um das 3- bis 4-Fache verglichen mit Placebo.

Bei drei von vier Migränepatienten besserten sich die Migränetage unter Atogepant um 25 Prozent (73,4 Prozent unter 10 mg Atogepant, 77,1 Prozent unter 30 mg Atogepant, 81,1 Prozent unter 60 mg Atogepant), unter Placebo waren es mit knapp 60 Prozent deutlich weniger. Dass sich die Migränetage um 75 Prozent reduzierten, trat – je nach Atogepantdosis – bei 30,4 Prozent, 29,6 Prozent, 37,8 Prozent der Probanden auf und bei 10,7 Prozent mit Placebo.

Bei manchen Patienten „verschwand“ die Migräne sogar ganz. Sie berichteten nach zwölf Wochen Behandlung, dass sich ihre durchschnittlichen monatlichen Migränetage um 100 Prozent verringerten: Das war bei 7,9 Prozent unter 10 mg Atogepant, 4,9 Prozent unter 30 mg, 7,7 Prozent unter 60 mg Atogepant und 0,9 Prozent unter Placebo der Fall.

Wichtig ist auch die Beobachtung, dass die Ansprechraten auf Atogepant in den Vier-Wochen-Intervallen (meist) statistisch signifikant besser waren als auf Placebo. Das bedeutet: Die beobachteten Unterschiede in den Ansprechraten lassen sich nicht allein durch Zufall erklären.

Was sind die Nebenwirkungen von Atogepant?

Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählten Verstopfung (Atogepant: etwa 7 Prozent; Placebo: 0,5 Prozent) und Übelkeit (Atogepant: etwa 5 Prozent; Placebo: 1,8 Prozent). Behandlungsbedürftige Nebenwirkungen traten unter Atogepant und Placebo vergleichbar häufig auf (etwa 50 Prozent).

Bessere Wirksamkeit bei höherer Dosierung und längerer Behandlungsdauer

Die Wissenschaftler sehen durch ihre Ergebnisse bestätigt, dass Atogepant in allen drei Stärken wirkt und die monatlichen Migränetage verringert. Außerdem erhöht eine Atogepanttherapie die Wahrscheinlichkeit um das Dreifache, dass die Patienten nur noch an halb so vielen Tagen pro Monat an Migräne leiden. Dabei sei Atogepant bereits in den ersten vier Behandlungswochen wirksam gewesen. 

Mit der Dosierung und der Behandlungsdauer nahm der Anteil der Migräniker zu, bei denen sich die monatlichen Migränetage reduzierten. Zudem sind den Studienteilnehmern zufolge die Patienten „zufrieden“ gewesen mit der Behandlung: Etwa drei von vier Migränikern gaben an, dass sie sich viel oder sehr viel besser gefühlt hätten.

Wann Atogepant auch die EMA passiert – und ob dann direkt eine Zulassung zur Prophylaxe episodischer und chronischer Migräne erfolgt –, darüber liegen derzeit keine Informationen vor.