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Haarausfall unter Migräne-Antikörpern

Frau mit Haarausfall
Unter Erenumab-Therapie wird offenbar immer wieder Haarausfall gemeldet. | Bild: New Africa / AdobeStock

Ob Eptinezumab, Erenumab, Fremanezumab oder Galcanezumab – in den letzten Jahren sind zur Migräneprophylaxe mehrere monoklonale Antikörper zugelassen worden. Sie alle richten sich gegen das Neuropeptid Calcitonin Gene-Related Pep­tide (CGRP) oder dessen Rezeptor.

Allgemein gelten sie als gut verträglich. Allerdings deuten mittlerweile mehrere Fallberichte beziehungsweise ein Literatur-Review darauf hin, dass zumindest eine seltene Nebenwirkung der CGRP-Antikörper bislang zu wenig klinische Aufmerksamkeit erfährt: die Alopezie (Haarausfall).

Auffällige Häufung von Alopezie unter CGRP-Antikörpern

Im Mai veröffentlichte die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) in ihren „Kopfschmerz News“ einen Artikel mit dem Titel „Alopezie als seltene Nebenwirkung der CGRP-Antikörper – früher genauso oft wie unter Placebo, heute klinisch relevant“. Darin beruft sich die DMKG auf einen aktuellen Literatur-Review. 

In diesem wurden mithilfe der Nebenwirkungsdatenbank der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde (FDA) die CGRP-Antikörper hinsichtlich der Nebenwirkung Alopezie analysiert. Demnach findet sich in der FDA-Datenbank für Erenumab und die anderen CGRP-Antikörper eine auffällige Häufung von Alopezie-Meldungen.

Haarausfall ähnlich wie bei Schwangerschaft

Die meisten Meldungen betrafen Frauen und wurden als nicht schwerwiegend eingestuft. Derzeit gehen die Autoren der Übersichtsarbeit davon aus, dass der Haarausfall reversibel ist, da es sich um ein Telogenes Effluvium handeln soll. Dies kann auch nach körperlicher Belastung, wie beispielsweise hohem Fieber oder schwerer Krankheit, Schwangerschaft oder der Einnahme anderer Arzneimittel auftreten.

Gut zu wissen: Was ist ein Telogenes Effluvium

Ein Telogenes Effluvium beschreibt einen plötzlich stark auftretenden Haarausfall. Es äußert sich dadurch, dass mehr als 100 Haare pro Tag in eine Ruhephase übergehen und in der Folge ausfallen. In der Regel wird ein Telogenes Effluvium nicht behandelt, da sich der Haarausfall meist (nach circa drei Monaten) von allein zurückbildet. 

Die DMKG nennt als weiteres Arzneimittel-Beispiel den Haarausfall nach Zytostatika, der typischerweise erst nach zwei bis drei Monaten einsetze, was auch bei den CGRP-Antikörpern der Fall zu sein scheint.

Wie häufig tritt Haarausfall bei Migräne-Antikörpern auf?

Der FDA-Datenbank zufolge (Stand 18. August 2022) wurde Alopezie als Nebenwirkung bei folgenden Migräne-Arzneimitteln gemeldet:

  • Erenumab (1.158 Fälle)
  • Galcanezumab (554 Fälle)
  • Fremanezumab (175 Fälle)
  • Eptinezumab (23 Fälle)
  • Rimegepant (26 Fälle)
  • Ubrogepant (4 Fälle)
  • Atogepant (3 Fälle)

Auch Gepante adressieren das Calcitonin-Gene-Related-Peptide(CGRP)-System. Die Autoren des Literatur-Reviews mutmaßen, dass der beobachtete Haarausfall durch Störungen des mikrovaskulären Kreislaufs bedingt sein könnte. Denn CGRP gilt als der stärkste Vasodilatator im menschlichen Körper. 

In der Fachinformation von Aimovig® (Erenumab) wird mit Stand Juni 2023 Alopezie mit unbekannter Häufigkeit als Nebenwirkung aufgeführt. Bei Emgality® (Galcanezumab), Ajovy® (Fremanezumab) und Vyepti® (Eptinezumab) findet sich derzeit kein entsprechender Hinweis. Gepante sind in Deutschland noch nicht im Handel.

Haarausfall auch bei anderen Migräne-Mitteln?

Ein Fallbericht einer 69-jährigen Frau mit einer langen Migränegeschichte, der im Rahmen der Literaturrecherche geschildert wird, verdeutlicht, dass Haarausfall auch bei anderen Migräne-Arzneimitteln ein Problem sein könnte. 

So soll die Patientin sowohl Topiramat, Gabapentin, Valproinsäure als auch Venlafaxin – trotz Effektivität in der Migräne-Prävention – aufgrund von einsetzender Alopezie abgesetzt haben. In der aktuellen S1-Leitlinie „Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne“ wird Haarausfall bei Valproinsäure als gelegentliche Nebenwirkung aufgeführt.

Bei Haarausfall: CGRP-Antikörper absetzen

Mit Propranolol schien die Patientin dann über neun Jahre (ohne Alopezie) gut eingestellt zu sein. Dann begann sie jedoch eine Erenumab-Therapie. Diese verbesserte nochmal ihre Migränesymptomatik, allerdings setzte drei Monate nach Behandlungsbeginn wieder Haarausfall ein. Auch eine Umstellung auf Fremanezumab beendete den Haarausfall nicht.

In einem weiteren Fallbericht einer 33-jährigen Frau setzte der Haarausfall bereits zwei Wochen nach Behandlungsbeginn mit Erenumab ein. Auch hier verbesserte eine Umstellung auf Glacanezumab die Alopezie nicht. Daraufhin setzte die Frau Glacanezumab komplett ab. Der Haarverlust soll sich dann innerhalb von sechs Wochen behoben haben. Nach acht Monaten erhielt sie schließlich Fremanezumab, doch auch hier trat nach drei Wochen erneut Haarausfall auf. Zuletzt konnte der Patientin mit Atogepant geholfen werden, ohne dass es erneut zu Haarausfall kam.

Alopezie könnte Akzeptanz von CGRP-Antikörpern gefährden

In dem Literatur-Review wird auf eine Pharmakovigilanz-Studie von vergangenem Jahr verwiesen, die auch auf der FDA-Datenbank basiert und ebenfalls auf einen potenziellen Zusammenhang zwischen CGRP-Hemmern und Alopezie hinweist. 

Die DMKG schätzt angesichts solcher Untersuchungen die Verdachtsfälle von Nebenwirkungen für die Praxis als relevant ein – könnte Alopezie doch zu Therapieabbrüchen führen, die den behandelnden Ärzten (noch) gar nicht berichtet werden. „Nach der Obstipation scheint sich Alopezie als weitere bisher nur unzureichend beschriebene Nebenwirkung als relevant zu zeigen“, heißt es.