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Typ-2-Diabetes: Schützt Metformin vor Demenz?

Mehrere Metformin-Tabletten liegen auf dem Tisch
Die Einnahme von Metformin ist bei Typ-2-Diabetikern mit einem reduzierten Demenzrisiko verbunden. | Bild: Soni's / AdobeStock

Bekannt ist, dass Menschen mit Typ-2-Diabetes ein erhöhtes Demenzrisiko haben. Warum das so ist, dazu gibt es mehrere Hypothesen – Hyperinsulinämie, Entzündungen, oxidativer Stress, Gefäßveränderungen, eine Insulinresistenz im Gehirn und ein gestörter Amyloid-Stoffwechsel. Könnten also blutzuckersenkende Arzneimittel gleichzeitig potenzielle Demenz-Medikamente sein?

Metformin ist Mittel der ersten Wahl bei Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2, wenn die nichtmedikamentöse Basistherapie ausgeschöpft ist. Quelle: Nationale Versorgungsleitlinie Typ-2-Diabetes, 2023  In der Tat wurde Metformin bereits im Zusammenhang mit Demenz untersucht, jedoch sind die Ergebnisse der Studien widersprüchlich.

Zur Erinnerung: Wie wirkt Metformin?

Das Biguanid Metformin verringert die Glucoseproduktion in der Leber. Außerdem wird die Insulinempfindlichkeit der Muskulatur verbessert und so die periphere Glukoseaufnahme und -verwertung gesteigert. Gleichzeitig wird die Aufnahme von Glucose aus dem Darm verzögert.  

Das Hypoglykämierisiko ist aufgrund der nichtinsulinausschüttenden Wirkung auf Placeboniveau, zudem verursacht es keine Gewichtszunahme.

Studie untersucht demenzsenkendes Potenzial

Nun stützen neue Daten von US-amerikanischen Wissenschaftlern das Demenzrisiko senkende Potenzial von Metformin. ´Alzheimer’s & Dementia“: „Heterogeneous treatment effects of metformin on risk of dementia in patients with type 2 diabetes: A longitudinal observational stud´  Mit Daten des „National Alzheimer's Coordinating Center“ (Nationales Koordinierungszentrum für Alzheimer-Krankheit) führten sie eine retrospektive Kohortenstudie durch.

Dafür wurden von Diabetes Betroffene berücksichtigt, die sich zwischen September 2005 und Juni 2021 mindestens zweimal in einem US-amerikanischen „Alzheimer's Disease Research Center“ (ADRC) vorstellten, mindestens 50 Jahre alt waren und zu Beginn keine kognitiven Einschränkungen hatten. Die Studienpopulation der Wissenschaftler umfasste schließlich 1.393 Teilnehmende (mittleres Alter 71,8 Jahre, 38,8 Prozent Männer).  

Zudem erfassten die Studienautoren alle Arzneimittel (verschreibungspflichtig und rezeptfrei) sowie Nahrungsergänzungsmittel der Probanden: 

  • 754 Diabetiker (54,1 Prozent) gaben an, Metformin einzunehmen (Metformingruppe) – 396 als Monotherapie und 358 in Kombination.
  • 639 Teilnehmende (45,9 Prozent) hatten kein Metformin (Metformin-freie Gruppe).

Die Wissenschaftler interessierten sich als Studienziel sodann dafür, welche Personen mit Diabetes eine Demenzdiagnose (Alzheimer oder andere Demenz) erhielten – das waren im Zeitraum eines vierjährigen Follow-ups 7,5 Prozent der Studienteilnehmenden (n = 104 Diabetiker).

Metformin mit geringerem Demenzrisiko verbunden

Den Wissenschaftlern fiel auf: „In der Gesamtkohorte waren Metformin-Anwender signifikant mit einem geringeren Demenzrisiko verbunden als Nicht-Anwender“, schreiben die Studienautoren. Sie geben die absolute Risikoreduktion mit -3,2 Prozent an – das bedeutet, das Risiko, an einer Demenz zu erkranken, war in der Studie für Diabetiker mit Metformin um 3,2 Prozentpunkte kleiner als für Diabetiker ohne Metformin.

Dabei schien es keine Rolle zu spielen, ob die Diabetiker Metformin allein anwendeten oder ein Metformin-Kombinationspräparat. Die Wissenschaftler stellten zudem fest, dass der positive Effekt einer Therapie mit Metformin hinsichtlich des Demenzrisikos nicht für alle Diabetiker gleich groß war (= heterogene Behandlungseffekte). 

Dabei scheinen neuropsychiatrische Störungen sowie die Einnahme von nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) und Antidepressiva eine Rolle zu spielen. Das hatten die Forschenden anhand von vier Untergruppen (Subgruppen) herausgefunden.

Neuropsychiatrisch vorerkrankte Diabetiker profitieren weniger von Metformin

  • Untergruppe 1 – Metformin bei Diabetikern ohne neuropsychiatrische Störung und ohne NSAR: Die Einnahme von Metformin war mit einem um 8,7 Prozent verringerten Demenzrisiko verbunden.
  • Untergruppe 2 – Metformin bei Diabetikern ohne neuropsychiatrische Störung und mit NSAR: Die Einnahme von Metformin war mit einem um 2 Prozent verringerten Demenzrisiko verbunden – was jedoch statistisch nicht signifikant war (das heißt: Das Ergebnis könnte auch dem Zufall geschuldet sein).
  • Untergruppe 3 – Metformin bei Diabetikern mit neuropsychiatrischen Störungen und ohne Antidepressiva: Die Einnahme von Metformin war mit einem um 8,6 Prozent signifikant erhöhten Demenzrisiko verbunden.
  • Untergruppe 4 – Metformin bei Diabetikern mit neuropsychiatrischen Störungen und Antidepressiva: Die Einnahme von Metformin war mit einem um 4,6 Prozent verringerten Demenzrisiko verbunden – was jedoch statistisch nicht signifikant war (das heißt: Das Ergebnis könnte auch dem Zufall geschuldet sein).

Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse der Wissenschaftler: Metformin war bei Typ-2-Diabetikern mit einem signifikant reduzierten Demenzrisiko verbunden. Jedoch sind vor allem neuropsychiatrische Störungen und die Einnahme von Antidepressiva wichtige Faktoren, die den Zusammenhang zwischen Metformin und einer Demenz beeinflussen können – das Vorhandensein von neuropsychiatrischen Störungen erhöht im Zusammenhang mit Metformin das Demenzrisiko. 

Ein signifikant geringeres Demenzrisiko hatten hingegen Diabetiker ohne neuropsychiatrische Störungen und ohne NSAR.

Erhöht das Absetzen von Metformin das Demenzrisiko?

Etwa zeitgleich machten Wissenschaftler um Sarah Ackley von der Boston University eine ebenfalls interessante Beobachtung im Zusammenhang mit Metformin und Demenz: Sie hatten Daten von Versicherten der Kaiser Permanente ausgewertet und festgestellt, dass Typ-2-Diabetiker, die Metformin absetzten, ein höheres Risiko für eine Demenzerkrankung hatten. Veröffentlicht wurde diese Arbeit im „JAMA Network Open“. ´Metformin Cessation and Dementia Incidence´, Oktober 2023 

Gut zu wissen: Demenz-Erkrankungen nehmen weltweit zu

Weltweit leiden mehr als 55 Millionen Menschen an Demenz. Jährlich kommen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge etwa 10 Millionen neue Fälle dazu. Alzheimer ist mit einem Anteil von 60 bis 70 Prozent die häufigste Form der Demenzerkrankung.

Laut WHO zählen zu den Risikofaktoren für eine Demenz

  • das Alter (die meisten Menschen mit Demenz sind 65 Jahre oder älter),
  • Bluthochdruck,
  • Diabetes,
  • Übergewicht und Adipositas,
  • Rauchen,
  • häufiger Alkoholkonsum,
  • körperliche Inaktivität,
  • soziale Isolation und
  • Depressionen.

Bislang gibt es kein Arzneimittel, welches die bei einer Demenz nachlassende Gehirnfunktion klinisch relevant verbessert. Den 2021 in den USA zugelassenen und umstrittenen Antikörper Aducanumab (Aduhelm) vermarktet der Hersteller Biogen seit 2022 nicht mehr – die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) empfahl keine Zulassung. 

Der seit 2023 in den Vereinigten Staaten zugelassene Antikörper Lecanemab (Leqembi) konnte in Studien den Krankheitsverlauf verzögern und die Kognition der Patienten um 27 Prozent verbessern. Neue Therapien gegen Demenz zu finden bleibt wichtig und sie werden nach wie vor dringend benötigt.