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Endometriose: Was bringt die neue Leitlinie?

Endometriose ist eine der häufigsten gutartigen, aber dennoch oft stark belastenden gynäkologischen Erkrankungen. Dabei siedeln sich Zellen, die der Gebärmutterschleimhaut ähneln, außerhalb der Gebärmutter an – zum Beispiel an den Eierstöcken, im Bauchraum oder an anderen Organen.
Typische Symptome reichen von chronischen Schmerzen über Zyklusstörungen bis hin zu unerfülltem Kinderwunsch. Die Diagnose gestaltet sich häufig langwierig, die Behandlung komplex.
Die aktualisierte S2k-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der Endometriose, veröffentlicht im Juni 2025, bringt zahlreiche Änderungen – mit dem Ziel, die Versorgung und Betreuung betroffener Frauen zu verbessern.
Zur Erinnerung: Was ist eine S2k-Leitlinie?
Für medizinische Leitlinien gibt es unterschiedliche Abstufungen, je nachdem, ob Evidenz und/oder Konsens unter Experten für die Maßnahmen vorliegen.
Nach dem Stufenklassifikationsschema der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V.) werden folgende Leitlinientypen unterschieden:
S1-Leitlinie: Empfehlungen auf Basis eines informellen Konsenses
S2k-Leitlinie: Empfehlungen auf Basis eines strukturierten Konsenses
S2e-Leitlinie: Empfehlungen auf Basis einer systematischen Recherche, Auswahl und Evidenz
S3-Leitlinie: Empfehlungen auf Basis von Evidenz und strukturiertem Konsens Quelle: https://flexikon.doccheck.com/de/Leitlinie /mia
Endometriose: Die multimodale Therapie rückt ins Zentrum
Die neue Leitlinie unterstreicht erstmals die Bedeutung eines multimodalen Therapieansatzes, also der Kombination verschiedener therapeutischer Verfahren. Statt einer rein operativen oder medikamentösen Behandlung wird empfohlen, Patientinnen individuell und umfassend zu versorgen.
Zur Behandlung zählen unter anderem:
- Medikamentöse Therapie: u. a. hormonelle Optionen wie Gestagene (z. B. Dienogest), GnRH-Antagonisten/-Analoga wie z. B. Linzagolix (auch „Add-back-Therapie“ genannt, hierbei werden begleitend zu GnRH-Analoga Hormone zugeführt, um die negativen Effekte der GnRH-Analoga, wie z. B. Knochenabbau, zu reduzieren) und kombinierte orale Kontrazeptiva, ergänzt durch Schmerzmittel wie z. B. NSAR.
- Nichtmedikamentöse Schmerztherapie: TENS (Transkutane elektrische Nervenstimulation) und vaginale Elektrostimulation, Akupunktur, Phytotherapie oder Mind-Body-Techniken (z. B. Progressive Muskelrelaxation, Yoga).
- Psychosomatische Betreuung: bei chronischen Verläufen oder bei starker Einschränkung der Lebensqualität. Augenmerk auf kognitiver Verhaltenstherapie, Achtsamkeit und gegebenenfalls sexualmedizinischer Beratung.
- Physio- und Bewegungstherapie: mit Fokus auf Beckenbodenarbeit und Schmerzlinderung.
- Ernährungstherapie: insbesondere bei gastrointestinaler Beteiligung oder zur Verbesserung des Wohlbefindens. Die Ernährung sollte reich an Vitaminen und Ballaststoffen sein.
- Patientinnenedukation und Selbstmanagement: Stärkung der Selbstwirksamkeit, z. B. durch Teilnahme an Endometriose-Gruppen oder Onlineprogrammen.
Neu ist, dass die nicht-medikamentösen und komplementären Ansätze nicht mehr als optionales Add-on betrachtet werden, sondern als gleichwertige Bestandteile eines Behandlungskonzepts. Ziel ist es, die Lebensqualität langfristig zu verbessern – auch bei chronischem Verlauf oder wiederkehrenden Beschwerden.
Diagnostik bei Endometriose: Weg von OP als Goldstandard
Ein Paradigmenwechsel zeichnet sich auch in der Diagnostik ab. Während früher die Laparoskopie – also die Bauchspiegelung mit histologischer Sicherung – als Goldstandard galt, wird nun auch die nicht-invasive Diagnostik stärker gewichtet.
Bei typischen Symptomen wie etwa zyklusabhängigen Schmerzen oder Dyspareunie (Schmerzen beim Geschlechtsverkehr) kann auch ohne operative Bestätigung eine Endometriose-Diagnose gestellt und behandelt werden. Die Leitlinie spricht hier von einer „wahrscheinlichen Endometriose“, wenn keine histologische Sicherung vorliegt.
Eine Laparoskopie wird dann empfohlen, wenn eine operative Therapie bereits geplant war oder die Bildgebung keine eindeutigen Ergebnisse liefert, ebenso bei einer peritonealen Endometriose (Form der Endometriose, bei der sich gebärmutterschleimhautähnliches Gewebe auf dem Bauchfell (Peritoneum) ansiedelt).
Die Bildgebung gewinnt an Bedeutung: Transvaginaler Ultraschall (TVS) und, bei entsprechender Indikation, MRT (Magnetresonanztomografie) gelten inzwischen als bevorzugte Werkzeuge zur nicht-invasiven Abklärung einer Endometriose oder Adenomyose.
Ziel ist es, frühzeitig eine fundierte Verdachtsdiagnose zu stellen und unnötige operative Eingriffe zu vermeiden, insbesondere in der Erstabklärung oder bei unkomplizierter Symptomatik.
Medikamentöse Therapie bei Endometriose: Individualisierung vor Standardisierung
Bei der medikamentösen Behandlung setzt die neue Leitlinie auf individuelle Entscheidungen. Anstelle einer festen Behandlungsreihenfolge sollen die Therapieziele, neben individuellen Beschwerden und Untersuchungsbefunden, Lebensumstände, Vorerkrankungen, psychosoziale Belastung oder einen möglichen Kinderwunsch der Patientin stärker berücksichtigen.
Die alleinige Gabe von Gestagenen bleibt weiterhin First-Line-Therapie, vor allem bei Schmerzsymptomatik und Patientinnen ohne akuten Kinderwunsch. Alternativ kann ein GnRH-Antagonist, gegebenenfalls mit einer Add-back-Therapie, eingesetzt werden. Dies wird dann empfohlen, wenn z. B. eine vorausgegangene OP die Diagnose einer Endometriose erbracht hat. Kombinierte orale Kontrazeptiva werden erst als Zweitlinientherapie eingesetzt, ebenso wie GnRH-Agonisten.
Die Schmerztherapie nimmt in der überarbeiteten Leitlinie einen hohen Stellenwert ein. Neben dem vorgestellten multimodalen Konzept aus verschiedenen Ansätzen, die auch Psycho-, Physiotherapie und Selbstmanagement enthalten, bleiben Schmerzmittel wie Nichtopioidanalgetika zentral, ebenso wie ergänzende Maßnahmen zur Schmerztherapie.
Bei chronischen Schmerzen können zudem Antidepressiva, Gabapentinoide, Opioide oder cannabishaltige Arzneimittel in Betracht gezogen werden – je nach Ursprung der Schmerzkomponente.
Der Fokus liegt nun auf einer gemeinsam mit der Patientin erarbeiteten Entscheidungsfindung unter Berücksichtigung des individuellen Krankheitsbildes. Wichtig ist, dass eine Schmerztherapie frühzeitig begonnen und bei Bedarf interdisziplinär abgestimmt werden sollte, um eine Chronifizierung zu vermeiden.
Kinderwunsch und Endometriose: differenzierte Empfehlungen
Die Leitlinie widmet dem Thema Kinderwunsch bei Endometriose besondere Aufmerksamkeit. Abhängig von Alter, Ausmaß der Erkrankung und individuellen Gegebenheiten empfiehlt sie eine frühzeitige interdisziplinäre Betreuung – idealerweise unter Einbindung von spezialisierten Endometriosezentren sowie Reproduktionsmedizinern.
Auch eine psychotherapeutische Begleitung kann sinnvoll sein, insbesondere bei chronischen Schmerzen oder psychischen Begleiterkrankungen wie Depressionen oder Angstzuständen.
Die operative Entfernung von Endometrioseherden wird bei unerfülltem Kinderwunsch nicht mehr pauschal empfohlen, sondern soll individuell abgewogen werden. Während bei tief infiltrierender Endometriose eine Operation in bestimmten Fällen medizinisch sinnvoll sein kann, zeigen Studien bei minimaler Endometriose keinen eindeutigen Vorteil für eine spontane Schwangerschaft.
Ziel ist es, unnötige Eingriffe zu vermeiden und stattdessen eine zielgerichtete, risikoarme und patientinnenzentrierte Vorgehensweise zu fördern. Die soll die Chancen auf eine spontane oder assistierte Schwangerschaft verbessern.
Endometriose: Versorgung in der Praxis
Die Apotheke ist oft erste Anlaufstelle für Frauen mit noch nicht diagnostizierten Symptomen. Ein empathisches, informatives Gespräch kann den entscheidenden Impuls geben, ärztliche Abklärung einzuleiten. Dabei kann das Apothekenteam folgende Punkte beachten:
- Beratung zu medikamentösen Optionen, Nebenwirkungen, Zyklusbeschwerden und Selbsthilfeprodukten
- Kenntnis nichthormoneller Therapiemöglichkeiten, z. B. pflanzliche Präparate wie Ingwer, Zimt und Fenchel, Mikronährstoffe wie Antioxidantien (Vitamin C und E), Vitamin D, Omega-3-Fettsäuren, Calcium, Zinksulfat, Magnesiumcitrat und Wärmetherapie
- Sensibilisierung für chronische Schmerzverläufe und deren psychische Belastung
- Aufklärung über mögliche ergänzende Maßnahmen aus dem Bereich Komplementärmedizin – mit evidenzbasierter Grundlage
Quellen:
https://www.aerzteblatt.de/search/result/705c8ce9-8d13-455e-b7f3-7d3a56ba5835
https://www.aerztezeitung.de/Medizin/Endometriose-Leitlinie-aktualisiert-
https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/015-045
https://www.dggg.de/presse/pressemitteilungen-undnachrichten/
handlungsempfehlungen-ermoeglichen-strukturierte-diagnostik-und-therapie-derendometriose
https://www.endometriose-doc.de/fortschritt/neue-endometriose-leitlinie-was-sichbei-
der-behandlung-aendern-soll-1349211.html
https://www.endometriose-vereinigung.de/blog/dieneue-
s2k-leitlinie-2025-zur-diagnostik-und-therapie-der-endometriose/
https://www.endometriose-vereinigung.de/was-ist-endometriose/
https://www.endometriose-vereinigung.de/diagnose/
https://www.endometriose-vereinigung.de/behandlung/
https://www.msdmanuals.com/de/profi/gyn%C3%A4kologie-undgeburtshilfe/
endometriose/endometriose
Die neue Endometriose-Leitlinie im Überblick:
Die neue Endometriose-Leitlinie markiert einen wichtigen Wendepunkt in der Versorgung dieser komplexen Erkrankung. Sie setzt auf:
- Individualisierte Diagnostik und Therapie ohne Zwang zur OP
- Multimodale, komplementäre und interdisziplinäre Therapiekonzepte
- Symptomatische Schmerztherapie nach Ursprung der Schmerzkomponente
- Stärkere Einbindung der Patientinnen in Entscheidungsprozesse