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Erhöht Gürtelrose das Risiko für Demenz?

Herpesviren gehören zu den größten und komplexesten Viren – und vielleicht auch zu den entwicklungsgeschichtlich ältesten Krankheitserregern. Acht Arten dieser großen Gruppe von Viren sind humanpathogen – aber praktisch jede Spezies auf diesem Planeten hat ihre eigenen weitverbreiteten Herpesviren, die recht streng wirtsspezifisch sind.
In Form der Herpesviren HHV-6a und -6b und HHV-7 (HHV = Humanes Herpesvirus) machen oft bereits Babys und Kleinkinder sehr früh Bekanntschaft mit den Pathogenen. Diese drei verursachen das sogenannte Drei-Tage-Fieber, auch bekannt als Exanthema subitum, Roseola infantum oder auch die „Sechste Krankheit“.
Andere Vertreter der Herpesviren sind:
- HHV-1 – auch Herpes-simplex-Typ-1 (HSV-1) genannt – der den lästigen Lippenherpes und Aphten im Mund verursacht,
- HHV-2 alias Herpes-simplex-Typ-2 (HSV-2), Verursacher des Genitalherpes,
- HHV-3, besser bekannt als Varizella-Zoster-Virus (VZV), Verursacher von Windpocken und sekundärer Gürtelrose,
- HHV-4 alias Epstein-Bahr-Virus (EBV) – Verursacher der „Kusskrankheit“, aka Pfeiffersches Drüsenfieber,
- HHV-5, das Cytomegalievirus (CMV) sowie
- HHV-8, Verursacher des Kaposi-Sarkoms bei immundefizienten Menschen.
Herpesviren überdauern in Zellen des Nervensystems
Gemein haben diese Viren außer ihrem Aufbau als große umhüllte ikosaedrische DNA-Viren und ihrer praktisch ubiquitären häufigen Verteilung auf dem Planeten, dass sie sich gerne in Zellen des menschlichen neuralen Systems vor dem Zugriff des Immunsystems verstecken. Einmal infiziert, trägt man die Erreger sein Leben lang latent mit sich herum – und einige werden von Mal zu Mal durch verschiedene Umstände aus ihrem stillen Reservoir wieder aktiviert.
Sehr deutlich ist das beim Erreger der Windpocken. Wer die Kinderkrankheit mit einer Inzidenz und Ansteckungswahrscheinlichkeit von rund 94 Prozent nach meist wenigen Tagen mit juckenden Hautausschlägen überstanden hat, ist zunächst einmal immun gegen einen weiteren Windpocken-Ausbruch. Im Alter jedoch, mit abnehmender Leistung des Immunsystems, kann eine unterschiedlich schwer verlaufende Gürtelrose – Herpes zoster – die späte sekundäre Folge der Kinderkrankheit sein. Über Jahrzehnte versteckt sich das Virus in Zellen des Nervensystems, um dann dort zu wüten.
Gleiches gilt für die beiden Herpes-simplex-Varianten: Die schmerzhaften Bläschen an Lippen, im Mund oder an Genitalien kommen auf bestimmte Nerven stimulierende Reize wie etwa Ekel hin immer wieder als kurze Manifestationen neuer Virusvermehrung.
Die anderen Herpes-Arten vermehren sich eher immer wieder im Stillen – oder wie beim HHV-8 nur dann, wenn das Immunsystem, wie etwa bei einer HIV-Infektion, nachhaltig geschädigt ist.
Genom von Humanem Herpesvirus in Alzheimer-Läsionen gefunden
Was bedeutet es aber, wenn solche sogenannten neurogenen Viren sich über Jahrzehnte in den Zellen unseres Nervensystems verstecken und regelmäßig zum Untergang einzelner Nervenzellen führen?
Dass sich dies nicht nur in schmerzhaften Bläschen auf der Haut äußert, haben Forschende in den vergangenen 30 Jahren untermauern können. Die Pathogene scheinen wesentlich an der Entwicklung von Demenz-Erkrankungen und auch Alzheimer beteiligt zu sein.
Herpes-Viren aller Vertreter fanden sich nämlich etwa in den Läsionen von verstorbenen Alzheimer-Patienten. Bereits 1991 konnten britische ForschendeJournal of Medical Virology: "Latent herpes simplex virus type 1 in normal and Alzheimer's disease brains"; Stand: April 1991 im Gehirn dieser untersuchten Toten HSV-1-Genom finden.
Direkte Zusammenhänge konnten die Forschenden bei Menschen zeigen, die eine schwere Windpocken-Infektion durchgemacht hatten, bei der es zu einer sogenannten Zostermeningitis – eine durch VZ-Viren verursachte Hirnhautentzündung – gekommen war. Dies ist eine sehr seltene Komplikation bei Kindern bei einer Windpocken-Infektion. Bei Erwachsenen, die sich erstmals akut mit VZV infizieren, kommt die Zostermeningitis allerdings häufiger vor.
In der Vergangenheit konnten Forschende zeigenJournal of Neurology: "Cognitive impairment 3 years after neurological Varicella-zoster virus infection: a long-term case control study"; Stand: July 2013 , dass die kognitiven Fähigkeiten dieser Betroffenen drei Jahre nach der Heilung der Infektion noch zum Teil deutlich eingeschränkt waren.
Zusammenhang zwischen Demenz und Gürtelrose bereits 2017 gefunden
Aber auch Menschen, die „nur“ im Alter eine Gürtelrose entwickeln, als Wiedermanifestation der ursprünglichen Windpocken, haben wohl ein größeres Risiko, Einbußen ihrer kognitiven Fähigkeiten zu erlangen.
Bereits im Jahr 2017 hatten Forschende aus Taiwan in einer Kohorten-Studie taiwanische Patientendaten über die Jahre 1997 bis 2013 ausgewertet und ein etwas erhöhtes Risiko (Hazard Ratio [HR] = 1,11; 95 % CI, 1,04–1,17) für eine spätere Demenz in der Gruppe der Patienten gefunden, die eine Gürtelrose-Erkrankung durchgemacht hatten, im Vergleich zur Kontrollgruppe ohne diese sekundäre VZV-Manifestation.
Zur Erinnerung: Hazard Ratio und Konfidenzintervall
Die Hazard Ratio (HR) gibt das Risiko für das Auftreten eines „Events“ innerhalb eines definierten Zeitraums an. Beim Vergleich von zwei Patientengruppen werden die Hazards (engl. hazard = Gefahr) in Relation gesetzt, daraus resultiert die Hazard Ratio (HR). Bei einer HR = 1 liegt kein Unterschied zwischen den beiden Gruppen vor.
Das Konfidenzintervall (KI; engl. CI) gibt den Vertrauensbereich an, der den wahren Parameter mit einer vorgegebenen Wahrscheinlichkeit überdeckt, z. B. 95 %, 99 % oder 99,9 %.
Im Jahr 2023 veröffentlichten US-Forschende eine Arbeit, in der sie gleich mehrere vorausgegangene Virusinfektionen in Zusammenhang mit späteren neurodegenerativen Erkrankungen bringen konnten. Neben einem Zusammenhang zwischen Demenz und VSV fanden sie auch einen zwischen einer EBV-Infektion und späterer Multipler Sklerose sowie zwischen viral verursachter Enzephalitis und späterer Demenz.
Weniger Demenz-Neuerkrankungen nach Zoster-Impfung
Ebenfalls im Jahr 2023 konnten US-Forschende zeigen, dass die Einführung des ersten Zoster-Impfstoffes – also der Impfung, die Ältere vor einem späteren erneuten VSV-Ausbruch in Form von Herpes zoster schützen soll – gleichzeitig die Quote der Neuerkrankungen an Demenz senkte.
Ihre sogenannte „Regressions-Diskontinuitäts-Analyse“ anhand der Impf- und Meldezahlen aus Wales belegte, dass seit Einführung des Zoster-Impfstoffes 2013 jede fünfte Demenzerkrankung vermieden worden war.
Das heißt: Nicht nur die Zahl der Zoster-Erkrankungen sank als direkte Folge der Impfungen, sondern in einem siebenjährigen Follow-up auch die Zahl der erwartbaren neu diagnostizierten Demenzen.
Zoster-Impfstoff „Shingrix“ senkt auch Demenz-Risiko
Im August 2024 schließlich erschien nun eine Studie von US- und taiwanischen Forschenden, die anhand dreier großer US-Beobachtungsstudien über mehrere Jahre wiederum einen direkten Zusammenhang zwischen einer durchgemachten Zoster-Erkrankung und späterer Demenz zeigen konnten.
In dem Fall hatten die Forschenden dies als „subjektiven Rückgang der kognitiven Fähigkeiten“ gemessen – das waren etwa subjektive kognitive Störungen
- bei der Gedächtnisleistung,
- bei dem Verständnis von Sachverhalten oder
- bei der Orientierung im Straßenverkehr.
Die beobachteten Personen – zwei Gruppen von Krankenschwestern und eine Gruppe von Health Professionals – waren regelmäßig unter anderem nach der Beurteilung ihrer Kognition befragt und zum Teil getestet worden.
Weitere Forschung nötig ...
Auch wenn noch viele Fragen offen sind und weitere Forschung notwendig ist, um definitive Zusammenhänge und Wirkmechanismen darstellen zu können, spricht doch bereits viel dafür, dass Demenz und Alzheimer mit neurogenen Viren wie den acht humanpathogenen Herpesviren in Zusammenhang stehen. Und auch, dass Impfungen dagegen nicht nur vor den unmittelbaren Erkrankungen, sondern langfristig auch vor Demenz schützen könnten. Quellen:
- Jamieson, G.A., Maitland, N.J., Wilcock, G.K., Craske, J. and Itzhaki, R.F. (1991), Latent herpes simplex virus type 1 in normal and Alzheimer's disease brains. J. Med. Virol., 33: 224-227. https://doi.org/10.1002/jmv.1890330403 https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1002/jmv.1890330403
- Grahn, A., Nilsson, S., Nordlund, A. et al. Cognitive impairment 3 years after neurological Varicella-zoster virus infection: a long-term case control study. J Neurol 260, 2761–2769 (2013). https://doi.org/10.1007/s00415-013-7057-1
https://link.springer.com/article/10.1007/s00415-013-7057-1
- RKI; Windpocken (Varizellen), Gürtelrose (Herpes zoster); RKI-Ratgeber, Stand 2017
https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Varizellen.html
- Chen, V. C. H., Wu, S. I., Huang, K. Y., Yang, Y. H., Kuo, T. Y., Liang, H. Y., ... & Gossop, M. (2017). Herpes zoster and dementia: a nationwide population-based cohort study. The Journal of clinical psychiatry, 79(1), 8164.
https://www.psychiatrist.com/jcp/herpes-zoster-and-dementia/
- Levine, K. S., Leonard, H. L., Blauwendraat, C., Iwaki, H., Johnson, N., Bandres-Ciga, S., ... & Nalls, M. A. (2023). Virus exposure and neurodegenerative disease risk across national biobanks. Neuron, 111(7), 1086-1093.
https://www.cell.com/neuron/fulltext/S0896-6273(22)01147-3
- Eyting, M., Xie, M., Heß, S., & Geldsetzer, P. (2023). Causal evidence that herpes zoster vaccination prevents a proportion of dementia cases. medRxiv.
https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2023.05.23.23290253v1
- Taquet, M., Dercon, Q., Todd, J.A. et al. The recombinant shingles vaccine is associated with lower risk of dementia. Nat Med (2024). https://doi.org/10.1038/s41591-024-03201-5
https://www.nature.com/articles/s41591-024-03201-5
- Yeh, TS., Curhan, G.C., Yawn, B.P. et al. Herpes zoster and long-term risk of subjective cognitive decline. Alz Res Therapy 16, 180 (2024). https://doi.org/10.1186/s13195-024-01511-x
https://alzres.biomedcentral.com/articles/10.1186/s13195-024-01511-x