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Diabetes und der BMI – zu wenig ist auch gefährlich

Mann misst Blutzucker mit Handy
Diabeter mit Normalgewicht sind häufiger männlich. | Bild: Andrey Popov / AdobeStock

Diabetes ist eine Krankheit, über die viel berichtet und geforscht wird – und über deren initiale Auslöser dennoch nur lückenhaftes Wissen vorhanden ist.  

Auf der einen Seite gibt es gänzlich unterschiedliche Formen von Diabetes, die sich in ihren Krankheitsursachen unterscheiden und an denen man auch gleichzeitig leiden kann („Doppel-Diabetes“):

  • Typ 1 etwa ist eine Autoimmunerkrankung, bei der schließlich kein Insulin mehr gebildet wird,
  • während Typ 2 auf eine erworbene Insulinresistenz zurückgeht,
  • und es gibt noch weitere Formen.

Und auf der anderen Seite sind zwar immer mehr Zusammenhänge zwischen Genetik, Lebensumständen und Diabetes bekannt, aber vieles hat keine automatische Kausalität. 

So weiß man, dass Adipositas (auch „Fettleibigkeit“ genannt), die durch einen hohen Body-Mass-Index (BMI) gekennzeichnet ist, ein hohes Risiko birgt, Typ-2-Diabetes (T2D) zu entwickeln. Allerdings gibt es auch Menschen mit einem normalen oder gar zu niedrigen BMI, die an T2D erkranken.

Zur Erinnerung: Was ist der Body-Mass-Index?

Der Body-Mass-Index (BMI) wird aus dem Quotienten des Körpergewichts und der Körpergröße in Metern zum Quadrat berechnet. Der Wert dient zur Beurteilung des Körpergewichts von Erwachsenen. 

Leichtes Übergewicht beginnt bereits bei einem BMI von 25, Menschen mit einem Wert ab 30 leiden an Adipositas.

Adipositas und Diabetes kommen nicht zwingend zusammen

„Um die globale Belastung durch Diabetes zu verringern, müssen wir verstehen, warum nicht alle fettleibigen Menschen T2D entwickeln und nicht alle Menschen mit T2D fettleibig sind“, schrieben bereits 2023 italienische Forschende um Teresa Salvatore von der Universität Campania in Neapel in einer Arbeit, die sie im Fachjournal „International Journal of Molecular Sciences“ veröffentlichten.

Darin hatten sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit den „Aktuellen Erkenntnissen über die Pathophysiologie des schlanken/normalgewichtigen Typ-2-Diabetes“ auseinandergesetzt.  

Medizinisch fallen diese Betroffenen unter die Definition Typ 2a – also Typ-2-Diabetes ohne Adipositas (Typ 2b ist mit Adipositas). Die ICD-10 kennen außerdem neben den Klassifikationen E10 „Primär insulinabhängiger Diabetes mellitus (Typ-1-Diabetes)“ und E11 „Nicht primär insulinabhängiger Diabetes mellitus (Typ-2-Diabetes)“ noch die Klassifikation E12 „Diabetes mellitus in Verbindung mit Fehl- oder Mangelernährung (Malnutrition)“.

Letztere Form ist in ihrer Definition umstritten – wissenschaftlich bekannt ist ein Diabetes bei unter- oder normalgewichtigen Menschen seit den 1950er-Jahren. Da fanden Forschende diese Form besonders in unterentwickelten Ländern – und etwa infolge von Unterernährung durch Hungersnöte. Die WHO kippte die Definition allerdings im Jahr 1999.

Prävalenzen für alle Diabetes-Typen steigen an

Mittlerweile steigt aber die Prävalenz für Diabetes bei Menschen mit niedrigem oder normalem BMI weltweit ebenso an wie die für Typ 1 und für den Typ 2 mit Adipositas – aus insgesamt nicht vollständig geklärten Gründen. 

Typ 2b – also mit Adipositas – steigt aufgrund der insgesamt steigenden Adipositas-Prävalenz, auch wenn – wie die italienischen Forschenden bereits feststellten – eben nicht jeder Fettleibige automatisch Diabetes entwickelt.  

Die Experten und Expertinnen gehen davon aus, dass „der größte Anstieg der Diabetesprävalenz in den kommenden Jahren bei nicht fettleibigen, nicht weißen Menschen erwartet [wird], die die Mehrheit der Weltbevölkerung ausmachen“, schreiben etwa Salvatore und ihre Kollegen und Kolleginnen.  

Diabetes zunehmend auch bei Normalgewichtigen

Nicht nur die italienischen Forschenden sehen dabei in dem Typ 2a, dem Diabetes ohne Adipositas, ganz andere noch nicht vollständig aufgeklärte Pathomechanismen am Werk. 2022 veröffentlichten Forschende des New Yorker Albert Einstein College of Medicine im Fachjournal „Diabetes Care“ eine Arbeit, in der sie feststellten, dass „von Low BMI-Diabetes betroffene Personen in LMICs (low- and middle-income countries) ein einzigartiges metabolisches Profil“ aufweisen.  

Betroffen sind aber signifikant auch immer mehr unter- oder normalgewichtige Menschen in Ländern wie den USA oder in der EU, die nicht zu den Entwicklungsländern gehören. Die Prävalenz schwankt dabei zwischen 5,1 Prozent laut einer Studie unter weißen Normalgewichtigen in Australien und 15 Prozent in einer männlichen schwedischen Kohorte. Insgesamt geht man von 3,5 bis 5 Prozent unter weißen Menschen mit niedrigem bis normalem BMI aus, Tendenz steigend.

Diabetes bei niedrigerem BMI erhöht Risiko für Folgeerkrankungen

In jedem Fall hat ein niedriger BMI Auswirkungen auf den möglichen Verlauf eines Diabetes. So sehen andere Arbeiten Hinweise, dass insbesondere Menschen mit einem niedrigen BMI andere Risiken aufweisen für schwere Komplikationen der Diabetes-Erkrankung bis hin zum Tod.

Südkoreanische Forscher veröffentlichten bereits 2019 eine Arbeit in „Diabetes & Metabolism“, in der sie feststellten, dass der BMI und das Risiko für schwere Hypoglykämien in einem „umgekehrt proportionalen Zusammenhang“ stehen – je kleiner der BMI, umso größer das Risiko also. 

„Daher sollten Personen, die in die Kategorie niedriger BMI und hohes Risiko einer schweren Hypoglykämie fallen, vor dem Risiko eines hypoglykämischen Ereignisses gewarnt und angemessen über Hypoglykämie informiert werden, um das Risiko tödlicher hypoglykämiebedingter Folgen zu minimieren“, schreiben die Forschenden.

Katarische Forschende fanden bereits 2017 ein „Adipositas-Paradoxon“ bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und akuter Herzinsuffizienz. „Die Sterblichkeit nahm mit steigendem BMI nahezu linear ab, wobei der Tiefpunkt bei stark adipösen Patienten erreicht wurde“, schreiben die Forschenden im Fachmagazin „International Journal of Cardiology“.

Diabetes: Erhöhte Sterblichkeit bei niedrigem BMI

Vor kurzem schließlich erschien eine Arbeit von südkoreanischen Forschenden im Fachmagazin „Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism“, die anhand einer Kohortenstudie mit über 400.000 T2D-Patientendaten aus Südkorea feststellten, dass untergewichtige im Vergleich zu normalgewichtigen T2D-Betroffenen eine höhere Inzidenz für kardiovaskuläre Ereignisse und eine höhere Sterblichkeit aufwiesen. Das Risiko für den Tod war laut der Forschenden dabei bei den untergewichtigen doppelt so hoch wie bei den normalgewichtigen T2D-Betroffenen.

Die Forschenden hatten Daten der nationalen Krankenversicherung Südkoreas verwendet. Demnach wurde zwischen 2010 und 2014 bei 419.509 Versicherten im Durchschnittsalter von 48 Jahren ein Diabetes Typ 2 diagnostiziert. 3,5 Prozent der Betroffenen hatten zum Diagnose-Zeitpunkt einen BMI unter 18,5 kg/m2, 35,5 Prozent der T2D-Patienten waren normalgewichtig.

Dabei stellten die Forschenden auch fest, dass „Patienten mit neu diagnostiziertem Typ-2-Diabetes die höchste Gesamtmortalität hatten, wenn sie während der Nachbeobachtungszeit schlank blieben“. Ihre Schlussfolgerung war: „Unsere Ergebnisse unterstreichen, wie wichtig es ist, einen angemessenen Gewichtsstatus beizubehalten, um die Gesamtmortalität und die Inzidenz von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei schlanken Patienten mit neu diagnostiziertem Typ-2-Diabetes zu senken.“

Schlanke Diabetiker öfter männlich

Zusammengetragen aus anderen Studien stellten die Forschenden allerdings auch heraus, dass T2D-Betroffene mit niedrigem BMI, die „schlanken Diabetiker“, sich eben von Betroffenen mit einem hohen BMI deutlich unterscheiden. So sind sie öfter männlich, haben niedrigere Spiegel an Triglyceriden im Blut, aber höhere HDL-Werte, leiden öfter an einer Entzündung der Bauchspeicheldrüse, einer Pankreatitis, und benötigen auch öfter Insulin als schwergewichtigere Patienten.  

Insgesamt lässt sich sagen, dass ein niedriger oder sehr niedriger BMI nicht vor Diabetes schützt, es sehr unterschiedliche Pathomechanismen für die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes geben muss und noch viel Forschung in diesem Bereich notwendig ist. Quellen:
– https://doi.org/10.3390/ijms24010658 https://www.mdpi.com/1422-0067/24/1/658
– https://doi.org/10.2337/dc21-1957 https://diabetesjournals.org/care/article/45/6/1428/146920/An-Atypical-Form-of-Diabetes-Among-Individuals
– Chiu, M.; Austin, P.C.; Manuel, D.G.; Shah, B.R.; Tu, J.V. Deriving ethnic-specific BMI cutoff points for assessing diabetes risk. Diabetes Care 2011, 34, 1741–1748.
– Caleyachetty, R.; Barber, T.M.; Mohammed, N.I.; Cappuccio, F.P.; Hardy, R.; Mathur, R.; Banerjee, A.; Gill, P. Ethnicity-specific BMI cutoffs for obesity based on type 2 diabetes risk in England: A population-based cohort study. Lancet Diabetes Endocrinol. 2021, 9, 419–426, Erratum in: Lancet Diabetes Endocrinol. 2021, 9, e2.
– https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1262363618300752
– https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0167527316343868
– https://doi.org/10.1210/clinem/dgae449 https://academic.oup.com/jcem/advance-article-abstract/doi/10.1210/clinem/dgae449/7721234?redirectedFrom=fulltext&login=false