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BMI: Kritik an Aussage­kraft und Relevanz

Frau steht auf einer Waage, im Vordergrund liegt ein Massband
Über den Gesundheitszustand einer Person bei einem bestimmten Gewicht sagt der BMI wenig aus. | Bild: VadimGuzhva / AdobeStock

Der Body-Mass-Index ist ein Wert, der Körpergröße und Körpergewicht eines Menschen ins Verhältnis setzt. Anhand dessen lässt sich ein Körper nach Unter-, Normal- oder Übergewicht einordnen. In der Praxis wird der BMI vor allem verwendet, um die Ausprägung eines Übergewichts bzw. einer Adipositas zu erfassen.

Adipositas als eine chronische Ernährungs- und Stoffwechselstörung

Die Tagesschau titelt: „Übergewicht – eine neue Pandemie“, denn in der westlichen Überflussgesellschaft ist „Dicksein“ zur Volkskrankheit geworden. Ab einem BMI von 25 aufwärts gilt man als übergewichtig (präadipös), ab einem Index von 30 sprechen wir von Adipositas (lat. adeps = Fett) oder auch Fettleibigkeit. 

Grafik zur Berechnung des BMI
Aus dem Verhältnis von Körpergewicht und Körpergröße wird der BMI ermittelt. | Grafik Ariane Gerlach

In Deutschland leiden 19 Prozent der Bevölkerung daran, weltweit gelten 650 Millionen Menschen als krankhaft fettleibig. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erkennt Adipositas als eine chronische Ernährungs- und Stoffwechselstörung mit Krankheitswert an. 

Zu viel zu wiegen gilt also, nicht zuletzt wegen der gesundheitlichen Auswirkungen, per se als Erkrankung. Plus: Ein hoher BMI wird mit einem erhöhten Risiko für Stoffwechsel- und Herzkrankheiten und einer geringen Lebenserwartung in Verbindung gebracht. 

Gut zu wissen: Ursachen und Wahrnehmung von Adipositas

Adipositas ist in der Gesellschaft weitreichend verpönt und verachtet. Betroffene werden abgestempelt, sie hätten „keine Disziplin“. Dadurch können psychische Störungen ausgelöst oder verstärkt werden – was das Krankheitsgeschehen verschlimmert. 

Adipositas ist eine anerkannte und multikausale Erkrankung. Mögliche Ursachen können sein:

  • genetische, familiäre Disposition
  • Lebensstil (z. B. Bewegungsmangel, Fehlernährung)
  • Essstörungen
  • Stress
  • Schlafmangel
  • depressive Erkrankungen
  • endokrine Erkrankungen (z. B. Cushing-Syndrom, Leptin-Resistenz)
  • Medikamente (z. B. Glukokortikoide, Neuroleptika, Antidiabetika)
  • sonstige Ursachen (z. B. Immobilisierung, Schwangerschaft)

BMI berücksichtigt wichtige Faktoren nicht

Dass starkes Übergewicht nicht förderlich für die Gesundheit ist, ist sicher kein Geheimnis. Trotzdem gehen immer mehr Experten dazu über, den BMI als alleinige Kenngröße infrage zu stellen.  

„Wenn wir uns nur auf Größe und Gewicht konzentrieren, wissen wir nichts über den tatsächlichen Gesundheitszustand einer Person“, sagt Fatima Cody Stanford, Adipositas-Expertin vom Massachusetts General Hospital und der Harvard Medical School.

Wichtige Faktoren wie Alter und Geschlecht, aber auch ethnische Herkunft, Familiengeschichte und Genetik, lässt der BMI außer Acht. Dabei sind die Informationen sehr bedeutend, wenn es um das gesundheitliche Risiko in Bezug auf das Körpergewicht geht. 

„Der BMI gibt mir eine Vorstellung davon, ob jemand fettleibig ist“, so Stanford. „Aber dann muss ich noch herausfinden, wie es um seine Gesundheit bei diesem spezifischen Gewicht bestellt ist.“

Anteil an Bauchfett aussagekräftiger als BMI

Das eigentliche Risiko für Folgeerkrankungen ergibt sich demnach nicht aus einer einzigen Zahl, sondern unter anderem aus schlechten Cholesterin- und Blutzuckerwerten, einer ungesunden Lebensweise, dem Hormonhaushalt und aus genetischen Prädispositionen.  

Auch die Fettverteilung im Körper spielt dabei eine wichtige Rolle. Das tiefliegende Viszeralfett, das die Organe in der Bauchhöhle umgibt, ist entzündlich und metabolisch aktiv. Es ist Auslöser für hormonelle Veränderungen, Insulinresistenzen, Herzerkrankungen und mit metabolischen Problemen assoziiert. 

Das Taillen-Größen-Verhältnis (waist-to-height ration) oder auch der seit 2012 existierende Body-Shape-Index (BSI) geben, anders als der BMI, Auskunft über den Anteil dieses schädlichen Bauchfettes am Gesamtgewicht. 

Gut zu wissen: Wie wird der Body-Shape-Index berechnet?

Der Body-Shape-Index (BSI) ist eine Weiterentwicklung des Body-Mass-Indexes. Er wurde 2012 erstmals von den Wissenschaftlern Nir Y. und Jesse C. Krakauer vorgeschlagen.

Der Body-Shape-Index wird aus Taillenumfang, Body-Mass-Index und Körpergröße berechnet. Die Formel ist komplizierter als die des BMI, weshalb online zahlreiche Rechner für den BSI zur Verfügung stehen. /mia

Menschen mit Viszeralfett können durchaus einen normalen BMI haben, die Expertin beschreibt das als Phänomen der „Normalgewicht-Fettleibigkeit“. Trotz der erhöhten Gesundheitsgefahr fallen sie bei einer Diagnosestellung mittels BMI also durchs Raster und bleiben unerkannt. Andersherum zeigt eine Studie aus 2023, dass übergewichtige Probanden durchaus eine gute kardiometabolische Gesundheit vorweisen können.  

BMI ist dennoch Hauptkriterium in der Diagnostik – warum?

Der BMI berechnet sich schnell und kostenfrei. Sogar die Patienten selbst können sich anhand der gut verständlichen Einordnung ein Bild über ihre körperliche Verfassung machen.  

Auch Ärzten gibt der BMI einen zwar nur groben, aber dafür schnellen Einblick über den Körper ihres Patienten. Das Problem: Für aussagekräftigere Werte wie Körperzusammensetzung, Fettverteilung und auch Blutwerte fehlt oft die Zeit. Im Schnitt stehen den medizinischen Fachkräften 15 Minuten pro Patient zu.  

In dieser Viertelstunde muss also entschieden werden, ob und wie krank Betroffene tatsächlich sind, welche Risiken für die Gesundheit bestehen und welche Therapiemöglichkeiten es gibt.  

Wegen BMI zu oft Arzneimittelverordnung?

Dadurch werden mittlerweile zu schnell und zu oft neue Adipositasmedikamente verordnet, weil vorrangig nach BMI und Ästhetik entschieden wird. Auch die Nachfrage aus der Bevölkerung steigt, denn die gehypte „Diätspritze“ wird in den sozialen Medien verbreitet. 

Gemeint sind die GLP-1-Analoga Semaglutid und Liraglutid sowie das Inkretin-Mimetikum Tirzepatid. Die Deutsche Adipositas-Gesellschaft betont, es handele sich um keine leichtfertig einzusetzende „Abnehm-Spritze“ für die allgemeine Bevölkerung, sondern vielmehr um verschreibungspflichtige Arzneimittel zur ergänzenden Behandlung von krankhaftem Übergewicht beziehungsweise Adipositas.

Gut zu wissen: Therapiemöglichkeiten bei Adipositas

  • Ernährungsberatung/Lebensstiländerung/Verhaltenstherapie
  • Operative Magenverkleinerung (ab Adipositas Grad 3 bzw. Grad 2, wenn Vorerkrankung)

Medikamente: 
Injektionen:

Lipasehemmer: Orlistat Xenical® HKP, Lifestyle-Arzneimittel, keine GKV-Übernahme

SGLT-2-Hemmer: Dapagliflozin (wenn ein Diabetes Mellitus Typ 2 vorliegt)  

Anpassung der Adipositas-Leitlinie notwendig

Stanford und andere Adipositas-Experten setzten sich dafür ein, dass Ärzte und medizinisches Personal ihre Patienten ganzheitlich betrachten und sie bestmöglich therapieren. Die Leitlinien zur Diagnostik und Behandlung von Fettleibigkeit müssen angepasst werden, damit körperliche, geistige und funktionale Gesundheit mehr in den Fokus rückt.  

Man sehe die Idee, sich vom BMI zu entfernen, langsam in die Leitlinien sickern, sagt Stanford. „Doch die Übersetzung in die klinische Praxis wird noch eine große Hürde sein.“ Quellen:

https://www.spektrum.de/news/fettleibigkeit-wieso-der-body-mass-index-in-die-irre-fuehrt/2200713

https://flexikon.doccheck.com/de/Body_Mass_Index

https://www.tagesschau.de/thema/adipositas

https://flexikon.doccheck.com/de/Adipositas#:~:text=Adipositas%20ist%20definiert%20als%20übermäßige,erhöhten%20Morbiditäts%2D%20und%20Mortalitätsrisiko%20einher